Mordfall Kiesewetter:Traumatisierter Zeuge

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Ein Heilbronner Staatsanwalt steht stellvertretend für das Staatsversagen im NSU-Komplex. Nun saß er selbst vor dem Untersuchungsausschuss.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Der Heilbronner Staatsanwalt Christoph Meyer-Manoras, 53, steht stellvertretend für das Staatsversagen im NSU-Komplex. Er hat im Laufe der Jahre viel zu hören und zu lesen bekommen - bis hin zu dem als Frage getarnten Vorwurf, er decke Mörder oder sei gar in einen Mord verwickelt. Und das alles, weil er im Jahr 2010 dem Wunsch der Polizei widersprach, ein Phantombild zu veröffentlichen. Es zeigt angeblich einen der Männer, die am 25. April 2007 in Heilbronn die Polizistin Michèle Kiesewetter erschossen und deren Kollegen Martin A. schwer verletzten. Angefertigt wurde das Bild mithilfe von Martin A. Wie konnte Meyer-Manoras als Leiter der Ermittlungen ein derart hochkarätiges Beweismittel zurückhalten?

Am Montag saß der Staatsanwalt vor dem Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags. Meyer-Manoras zitierte aus den vielen, teils widersprüchlichen Aussagen von Martin A. Drei Monate nach der Tat dachte er noch, er sei in einen Motorradunfall verwickelt gewesen. 2010 legte er sich auf ein Gesicht fest, zwischendurch hatte er sich einer Hypnose-Therapie unterzogen. Der Staatsanwalt beharrt darauf: Wegen der schweren Kopfverletzungen könne der Polizist sich nicht erinnern. "Er wollte uns helfen", sagt Meyer-Manoras, "aber mit traumatisierten Zeugen muss man vorsichtig umgehen".

Das LKA, das die Ermittlungen 2010 an sich gezogen hatte, weihte den Staatsanwalt damals vorab nicht in das Projekt Phantombild ein. Er, sagt Meyer-Manoras, hätte sich strikt dagegen ausgesprochen und verweist darauf: Das Phantombild erinnere stark an jenen Mann, den Martin A. zuvor in einer Lichtbildmappe als möglichen Täter identifiziert hatte (der aber als Verdächtiger bald ausschied). Er spricht von "Rekonstruktion statt Erinnerung."

In jedem Fall weist das Bild keine Ähnlichkeit mit Uwe Böhnhardt oder Uwe Mundlos auf, die man seit November 2011 als NSU-Mörder kennt. Jahrelang, sagt Meyer-Manoras, habe er sich das Hirn über diesen Fall zermartert. Auch er glaubt mittlerweile, dass Böhnhardt und Mundlos die Mörder sind und die Polizisten lediglich Zufallsopfer. "Aber", sagt er, "meine Einschätzung ist so relevant, wie wenn in China ein Sackerl Reis umfällt."

Das Wort hat nun Beate Zschäpe. Sie könnte im Münchner NSU-Prozess auch aufklären, warum Michèle Kiesewetter sterben musste.

© SZ vom 08.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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