Mordanschlag von Passau:Gefährliche Biedermänner

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Wie sich Neonazis als nette Kümmerer geben und damit Menschen in ihren Bann ziehen.

Uwe Ritzer

Die Ergebnisse der Studie waren alarmierend. In keinem anderen westlichen Bundesland sei rechtsextremes Gedankengut so tief verwurzelt wie in Bayern, konstatierten Sozialwissenschaftler Ende 2006. Fast jeder Zweite hier sei der Ansicht, die Bundesrepublik sei "durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet".

Anteil der Bevölkerung mit ausländerfeindlicher Einstellung nach Bundesländern. Zum Vergrößern bitte klicken. (Foto: SZ-Graphik)

Etwa jeder Dritte halte "den Einfluss der Juden für zu groß". Der Aufschrei über diese Resultate einer Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung war groß; Staatsregierung und CSU empörten sich heftig.

Widerlegt ist die Studie bis heute weder wissenschaftlich noch in der politischen Praxis. Zwar ging die NPD bei der Landtagswahl Ende September unter, doch Bayern ist mittlerweile übersät von kleinen, mehr oder minder schlagkräftigen braunen Grüppchen. In einigen ländlichen Regionen Niederbayerns oder Frankens erfahren sogenannte Nationale Stammtische mancherorts größeren Zulauf als Versammlungen von CSU und SPD.

Die Umstände, unter denen sich die rechtsextreme Klientel in Dorfwirtshäusern versammelt, sind konspirativ. Um ungestört von Gegendemonstranten zu bleiben, läuft vieles über Mundpropaganda. Wer einschlägig beleumundet ist und Interesse zeigt, erhält einen Rückruf, in dem ihm sehr kurzfristig Ort und Zeit der Zusammenkunft mitgeteilt werden.

Der Rechtsextremismus in Bayern hat viele Facetten. Gerne gibt die Szene die netten Kümmerer von nebenan. Braune Biedermänner säubern den Kinderspielplatz in der Nachbarschaft oder sorgen sich um Jugendgruppen in ihrer Gemeinde. Im Landkreis Nürnberger Land warb eine "NPD-Krabbelgruppe" mit dem Satz: "Hier wird Volksgemeinschaft gelebt." Eingeladen waren nur deutsche Mütter, versteht sich.

Im Kontrast zur schleichenden Unterwanderung der Gesellschaft stehen martialische Aufmärsche. Das oberfränkische Wunsiedel leidet seit Jahren darunter, dass Extremisten alljährlich am Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß zu dessen Grab pilgern. Im benachbarten Gräfenberg marschiert die Szene seit 1999 auf, zunächst einmal pro Jahr, seit November 2006 monatlich.

Die Liste der in den vergangenen Jahren immer wieder vom braunen Spuk heimgesuchten Kommunen ist lang. "Die Aktivitäten werden wie Streusel bei einem Kuchen über das ganze Land verteilt", sagt Susanne Richter vom Bayerischen Bündnis für Toleranz. In den Großstädten sind die Rechtsextremen vor allem in sozial schwachen Vierteln unterwegs.

Zum Beispiel im Nürnberger Stadtteil Werderau. Bei der Kommunalwahl im März holte eine Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA) dort satte 12,2 Prozent. Die BIA ist eine reine Tarnliste, an deren Spitze der bayerische NPD-Chef Ralf Ollert bereits zum zweiten Mal den Sprung in den Nürnberger Stadtrat schaffte. In der Landeshauptstadt München tat es ihm Karl Richter gleich. Äußerlich ginge Richter vom Habitus her auch als links-angehauchter Sozialpädagoge durch. Tatsächlich gilt der Berater der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag als einer der Vordenker der rechtsextremen Szene in Deutschland.

Deren Führungskader fühlen sich wohl in Bayern, wo der NPD gut 1000 Menschen angehören, was etwa einem Siebtel ihrer Mitglieder bundesweit entspricht. Ihr Bundesvorsitzender Udo Voigt lebt in Moosburg, sein Stellvertreter Sascha Roßmüller nicht weit entfernt von Passau, wo am Samstag das Attentat auf Polizeichef Alois Mannichl geschah. Der ehemalige RAF-Anwalt und Holocaust-Leugner Horst Mahler wohnt in Ebersberg bei München. Großer Einfluss auf die rechtsextreme Szene hierzulande wird auch dem Unterfranken Uwe Meenen und dem gefängniserfahrenen Münchner Norman Bordin nachgesagt. Letzterer kümmert sich seit geraumer Zeit um den NPD-Nachwuchs. Um den wird mitunter vor Schulen geworben, bevorzugt mit kostenlosen CDs voll einschlägigem Liedgut.

Offenbar fällt das nicht auf unfruchtbaren Boden. Bereits 2002 offenbarte eine Studie der linker Umtriebe unverdächtigen Katholischen Universität Eichstätt, dass fast ein Drittel der bayerischen Schüler beklage, im Geschichtsunterricht immer "nur die schlechten Seiten der NS-Zeit" zu erfahren.

© SZ vom 16.12.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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