Mittelmeer:Umstrittene Grenze, umstrittener Schatz

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Sanktionen der EU hindern die Türkei nicht daran, weiter vor Zypern Erdgas zu suchen.

Von Moritz Baumstieger, München

Bis Ankara auf die unangenehme Nachricht aus Brüssel antwortete, dauerte es: Am Montagabend beschlossen die Außenminister der Europäischen Union Sanktionen gegen die Türkei, weil sie nach Ansicht der EU bei ihrer Erkundung von Erdgasfeldern vor der Küste Zyperns die Hoheitsrechte des Inselstaats verletzt. Dass die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan auf die Ankündigung von Strafmaßnahmen zunächst nicht reagierte, lag nicht daran, dass sie von der Entscheidung überrascht wurde - die EU hatte schon im Juni mit den Maßnahmen gedroht. Doch als man sich in Brüssel für die Sanktionen entschied, gedachten der türkische Staatschef und seine Minister gerade auf mehreren Veranstaltungen den Opfern des Putschversuches von vor drei Jahren.

Ankara gibt sich demonstrativ unbeeindruckt. Aber die Strafen aus Brüssel könnten wehtun

Am Dienstag nun veröffentlichte das türkische Außenministerium eine Stellungnahme, die demonstrativ unbeeindruckt klingen sollte. Die Sanktionen der EU würden die Entschlossenheit der Türkei in "keinster Weise" beeinträchtigen, ihre Aktivitäten vor Zypern fortzusetzen. Wenig später legte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu persönlich nach und ging auf Konfrontationskurs: "Wir haben dort drei Schiffe, und das vierte Schiff werden wir, so Gott will, so bald wie möglich auch ins östliche Mittelmeer schicken."

Die von Çavuşoğlu angesprochenen türkischen Forschungsschiffe, an denen die EU-Außenminister Anstoß nehmen, erkunden unter Schutz von mehreren türkischen Kriegsschiffen Fördermöglichkeiten für Erdgas rund um Zypern. In dem Seegebiet, das sich zwischen der Insel und der Küste Ägyptens im Süden erstreckt, sind seit 2009 mehrere große Gasvorkommen entdeckt worden. Schätzungen gehen von einer Gesamtmenge von mehreren Billionen Kubikmetern aus. Manchen Experten zufolge könnten sie ein Drittel der weltweiten Vorkommen ausmachen. Seither versuchen die Anrainerstaaten ihre Claims abzustecken: Während einige Vorkommen wie das ägyptische Zohr-Gasfeld oder die israelischen Fördergebiete Leviathan und Tamar eindeutig im Hoheitsgebiet einzelner Staaten liegen, sind die Rechte an anderen wegen nicht eindeutig festgelegter Grenzverläufe umstritten. Immer wieder kommt es deshalb zu verbalen Drohungen. Einige Beobachter vergleichen die Situation bereits mit der im Südchinesischen Meer, wo sich ein von ökonomischen und sicherheitspolitischen Interessen getriebener kalter Krieg zwischen mehreren Anrainern entwickelt hat.

Ankara lässt die Schiffe Fatih und Yavuz derzeit westlich und östlich von Zypern Gasfelder erkunden, die sich seiner Meinung nach auf dem türkischen Festlandsockel befinden. In den Streit um das Gas spielt jedoch ein zweiter Konflikt hinein, die seit 1974 ungelöste Zypern-Frage. Brüssel unterstützt die griechisch geprägte Republik Zypern, die seit 2004 Mitglied der EU ist. Der türkisch geprägte Nordteil der Insel hingegen wird politisch nur von Ankara anerkannt. Die aktuellen Vorbereitungen zur Ausbeutung der Gasvorkommen dienen nach Angaben Ankaras weniger dem eigenen Vorteil, vielmehr wolle man den türkischen Zyprioten ihren Anteil an den Erdgasvorkommen sichern.

Auch wenn Çavuşoğlu die Strafmaßnahmen der EU am Dienstag als "banale Sachen" bezeichnete, "die auf uns keinen Eindruck machen", dürften die Sanktionen die anhaltend schwache türkische Wirtschaft zusätzlich unter Druck setzen: So bricht Brüssel Gespräche über ein Luftfahrtabkommen ab, das die Flugpreise zwischen EU-Staaten und der Türkei verbilligen und in der Folge Tausende Arbeitsplätze etwa im Tourismussektor schaffen sollte. Zudem werden im kommenden Jahr Finanzhilfen für die Türkei reduziert, die Europäische Investitionsbank wird überdies aufgefordert, ihre Kreditvergabe an das Land zu überprüfen - heißt: einzuschränken.

© SZ vom 17.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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