Mitgliederentscheid:Wenn eins plus eins nicht zwei ergibt

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Das Ergebnis des Mitgliederentscheids ist klar, die Konsequenzen indes sind es weniger. Olaf Scholz und Klara Geywitz sind mit ihrer Bewerbung um den SPD-Vorsitz gescheitert. Aber ist damit auch die Koalition am Ende? (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Die logische Konsequenz aus der Befragung der Basis wäre der Ausstieg aus der großen Koalition. Doch darauf legt sich bei der SPD keiner fest.

Von Nico Fried

SMS an einen erfahrenen Sozialdemokraten: "Und jetzt?" Antwort: "SPDexit. Merkel macht keine Nachverhandlungen, Vertrauensfrage im Januar und Neuwahlen bis Ende März vor Ostern." Klingt einfach. Aber ist es das auch?

Die Bundestagsabgeordnete Saskia Esken und der frühere Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Norbert Walter-Borjans, haben nach einem langwierigen Verfahren den Mitgliederentscheid der SPD über eine neue Parteispitze gewonnen. Gemeinsam treten sie die Nachfolge von Andrea Nahles an. Die beiden besiegten in der Stichwahl Klara Geywitz und Olaf Scholz, Letzterer stand wie niemand anderes für die Fortsetzung der großen Koalition bis 2021. Esken und Walter-Borjans - sie noch mehr als er - sehen die große Koalition hingegen skeptisch bis ablehnend. Der Mann hinter dem erfolgreichen Kandidaten-Duo, Juso-Chef Kevin Kühnert, war zudem der vehementeste Kritiker der großen Koalition, als sich die Frage nach den gescheiterten Jamaika-Sondierungen Ende 2017 für die SPD wieder stellte. Die logische Konsequenz aus alldem wäre deshalb das Ende der Regierungszusammenarbeit mit der Union. Doch gemach, gemach.

Es gibt ein englisches Sprichwort: You can't have your cake and eat it; man kann einen Kuchen nicht essen und behalten. Das gilt auch für die SPD, aber vielleicht weiß sie es noch nicht. Die Basis hat ihren Vizekanzler und Finanzminister auch deshalb nicht zum Parteichef gemacht, weil sie kein "Weiter so" wollte. Die große Koalition wäre das Symbol schlechthin für ein "Weiter so". Trotzdem will sich einstweilen niemand festlegen, die Koalition wirklich zu beenden. Ergibt eins und eins plötzlich nicht mehr zwei? Will die SPD den Kuchen essen und behalten?

Esken und Walter-Borjans haben bereits einige Nachforderungen angemeldet

Am kommenden Dienstag soll das Präsidium der SPD erstmals in einer erweiterten Runde mit den designierten Vorsitzenden Esken und Walter-Borjans zusammenkommen. Dann will man zum einen über die Halbzeitbilanz der Koalition aus Sicht der Sozialdemokraten sprechen. Zum anderen sollen Vorhaben diskutiert werden, die der SPD wichtig sind. Man wird dann aber auch darüber reden müssen, welche Bedeutung diese Themen haben und wie man sie nennt: Sollen es Diskussionsbeiträge sein für das erste Treffen des Koalitionsausschusses in der nächsten Woche? Wünsche? Bedingungen? Rote Linien? Das Ergebnis wird in einen Leitantrag für den Parteitag einfließen. Dieser Antrag soll dann in den vor Parteitagen üblichen Gremiensitzungen am Donnerstag verabschiedet werden.

Esken und Walter-Borjans haben während des Wahlkampfs für den SPD-Vorsitz mehrere Themen genannt, bei denen sie zusätzliche Forderungen haben: beim Klimaschutz zum Beispiel. Das Paket der Bundesregierung ist zwar ausverhandelt, nun aber hat Esken gefordert, dass der Einstiegswert bei der geplanten Bepreisung von Kohlendioxid nicht nur bei zehn, sondern bei 40 Euro pro Tonne liegen soll. Der Mindestlohn soll auf zwölf Euro pro Stunde steigen. Esken und Walter-Borjans fordern außerdem ein Investitionspaket von bis zu 500 Milliarden Euro. Dafür würden sie auch neue Schulden in Kauf nehmen. Damit würden sie sich nicht nur in Gegensatz zu Olaf Scholz bringen, der ja noch Finanzminister ist, sondern auch vor dem Problem stehen, dass der Haushalt für das Jahr 2020 bereits verabschiedet ist.

Theoretisch ist auch ein Scheitern des neuen Duos auf dem Parteitag noch möglich

Zumindest Esken hat sich immerhin festgelegt: Sollte es keine Nachverhandlungen mit der Union geben, werde sie sich eindeutig für das Ende der Koalition aussprechen. Doch was genau sind Nachverhandlungen? Lässt sich die SPD dann auch darauf ein, über Forderungen der Union zu sprechen, zum Beispiel eine Reform der Unternehmenssteuer oder eine Abschaffung des Solidaritätszuschlages auch für jene Steuerzahler, die ihn bislang weiter zahlen sollen? Und wie soll sich die Union überhaupt auf Gespräche einlassen, solange Esken und Walter-Borjans noch gar nicht formal vom SPD-Parteitag gewählt wurden? Wenn sie aber gewählt wurden, soll ja auch schon einen Tag später das Thema Koalition auf dem Parteitag aufgerufen werden.

Theoretisch ist selbst ein Scheitern von Esken und Walter-Borjans noch denkbar. Das Problem ist dabei weniger die eigentliche Wahl. Das Problem ist ein dafür notwendiger Beschluss davor: Für die Satzungsänderung, mit der die Doppelspitze formal erst möglich gemacht wird, ist auf dem Parteitag eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Sollte es darüber zu einer geheimen Abstimmung kommen, könnte sein Mütchen kühlen, wer auch immer das für angebracht hält. Scheitert die Satzungsänderung, scheitert das Duo. Es kann dann auch künftig nur einen Vorsitzenden geben. Oder eine Vorsitzende.

Die nächste Frage, die der Parteitag entscheiden muss: Soll der Parteitag schon über die große Koalition entscheiden? Politisch ist es viel wahrscheinlicher, dass die SPD der Union einige Forderungen stellt. So kann man nach außen noch am ehesten den Eindruck erwecken, man sei selbst ja am Regieren interessiert, aber die andere Seite nicht. Blame Game nennt man dieses Spiel, in dem mit Blick auf den Eindruck bei den Wählerinnen und Wählern die Verantwortung für einen Bruch der Regierung hin- und hergeschoben werden wird.

Allerdings muss dann auch klar sein, wer für die SPD darüber entscheidet, ob diese Forderungen erfüllt wurden. Und wann diese Entscheidung fallen soll. Der Parteitag kann eine entsprechende Frist setzen und den Parteivorstand mit der Entscheidung beauftragen. Es dürfte allerdings auch Anträge geben, dass über den Ausstieg aus der Koalition erneut die Basis abstimmt, die ja im Frühjahr 2018 auch über den Einstieg abgestimmt hatte. Diese Position hatten Nina Scheer und Karl Lauterbach vertreten, eines der gescheiterten Kandidaten-Duos für den Vorsitz.

Sollte die SPD sich für ein Ende der Koalition entscheiden, würde sie wohl alsbald ihre Minister aus dem Kabinett abziehen, so wie es die FDP 1982 getan hat und damit das Ende der sozialliberalen Regierung von Helmut Schmidt einläutete. Die Bundestagsfraktion bliebe jedoch ein Machtfaktor, den die Partei nicht steuern kann, die Abgeordneten sind an Weisungen der Partei nicht gebunden. Unter ihnen gibt es nicht nur viele, die gegen Walter-Borjans und Esken waren - vor allem Abgeordnete, die bei Neuwahlen mit dem Verlust ihres Mandates rechnen müssten, könnten auch versucht sein, eine Vertrauensfrage Angela Merkels in geheimer Abstimmung mit Ja zu beantworten.

© SZ vom 02.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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