Minderjährige:10 000 vermisste Flüchtlingskinder

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Rob Wainwright fürchtet, die Verschwundenen könnten Banden in die Hände fallen. (Foto: Jerry Lampen/AFP)

85 000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge kamen 2015 nach Europa - viele sind nun unauffindbar.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Tausende der in Europa angekommenen Flüchtlingskinder sind nach Angaben der europäischen Polizeibehörde Europol verschwunden. "Wir schätzen, dass von den 85 000 unbegleiteten Minderjährigen, die mit der Flüchtlingswelle im vergangenen Jahr gekommen sind, mindestens 10 000 in der EU unauffindbar sind", sagte Europol-Chef Rob Wainwright der Süddeutschen Zeitung. "Wir wissen nicht, wo sie sind." Laut Bundeskriminalamt wurden in Deutschland zum Jahresbeginn 4749 Flüchtlingskinder vermisst.

Einige von ihnen könnten, so der Europol-Direktor, in den Händen von Banden sein, die Sexualstraftaten begehen. Andere wiederum könnten mit Kinderarbeit ausgebeutet worden sein. Allein im Januar seien 55 Prozent der Neuankömmlinge unter Flüchtlingen Frauen und Kinder gewesen - eine Steigerung von 34 Prozent im Vergleich zum Jahr 2015.

Europol hat in dieser Woche zehn Polizeibeamte auf vier griechische Inseln entsendet, um die Sicherheitskontrollen an der EU-Außengrenze zu verbessern. Sie sollen in der sogenannten zweiten Reihe hinter den Beamten von Frontex Menschenschmuggler und Terroristen identifizieren. In den kommenden Monaten soll dieses Team auf mehr als 50 Beamte aufgestockt werden. Bislang habe Europol nur sehr wenige Hinweise auf mutmaßliche Terroristen bekommen, welche die Flüchtlingsrouten benutzen, sagte Wainwright. Nicht nur in Griechenland, sondern auch in Deutschland und Österreich sei "eine sehr geringe Anzahl von Verdachtsfällen" identifiziert worden. "Bisher sehen wir keinen systematischen Zusammenhang zwischen Terrorismus und der Migrationskrise in Europa."

Die europäische Polizeibehörde verhandelt mit der Türkei darüber, ein Polizei-Verbindungsbüro bei Europol zu eröffnen. Damit soll die Zusammenarbeit zwischen Ankara und den EU-Staaten bei der Bekämpfung von Menschenhandel und Terrorismus verstärkt werden. "Die Kooperation mit Europol ist aber begrenzt, weil bislang kein Datenschutzabkommen unterzeichnet wurde", sagte Wainwright. Der Prozess der geplanten Visa-Liberalisierung könne dies beschleunigen. Die Staats- und Regierungschefs der EU wollen in der nächsten Woche beim Gipfeltreffen in Brüssel über ein Abkommen mit der Türkei entscheiden. Ankara soll bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise helfen. Als Gegenleistung fordert die Türkei unter anderem, dass ihre Bürger künftig ohne Visum in die EU einreisen dürfen.

© SZ vom 12.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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