Migrationspakt:Ein Zeichen gegen Alleingänge

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Zum UN-Gipfel in Marrakesch schicken viele Staaten Vertreter aus der zweiten Reihe. Bundeskanzlerin Merkel reist selbst an, um für das Abkommen zu "kämpfen".

Von Nico Fried, Marrakesch

Angela Merkel ist auf anderen UN-Gipfeln schon mehr bekannten Gesichtern begegnet. 164 Länder haben Vertreter nach Marrakesch entsandt, um den Migrationspakt der Vereinten Nationen anzunehmen - doch vielen Staats- und Regierungschefs war die Reise nach Marokko dann doch nicht so wichtig wie der Bundeskanzlerin. Merkel mitgezählt, sind nur acht Regierungschefs aus der Europäischen Union gekommen und etwa noch mal so viele aus Afrika und anderen Weltgegenden. Statt mit Emmanuel Macron oder Theresa May könnte sich Merkel hier zum Beispiel mal intensiver mit Khamphao Ernthavanh austauschen, der stellvertretenden laotischen Außenministerin.

Die Kanzlerin aber will in erster Linie ein Zeichen setzen, nicht zuletzt nach Deutschland. Sie sei "sehr bewusst" nach Marokko geflogen, sagt Merkel in ihrer Rede. Mit dem Migrationspakt gehe es im Kern "um die Grundlagen unserer internationalen Zusammenarbeit". Es lohne sich, "für diesen Pakt zu kämpfen", so Merkel: "Jedem ist doch klar, dass durch nationale Alleingänge die Probleme nicht zu lösen sind."

Das richtet sich an die Staaten, die niemanden nach Marrakesch geschickt haben, weil sie den "Globalen Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration" nicht unterstützen wollen. Die USA führen diese Staaten an, in der Europäischen Union lehnt gut ein Drittel der Regierungen die Vereinbarung ab, unter ihnen Polen, Ungarn, Bulgarien, Tschechien, die Slowakei, Italien und Österreich. Vor allem das Wendemanöver von Kanzler Sebastian Kurz vor einigen Wochen in Wien hat die Bundesregierung nachhaltig verärgert.

Der in Marrakesch gebilligte Pakt soll „irreguläre Migration“ wie an der Grenze der spanischen Enklave Melilla verhindern. (Foto: AP)

Österreich hatte den Pakt für die EU verhandelt - und das durchaus zur Zufriedenheit der Partnerstaaten. Offenkundig unter dem Druck seines Koalitionspartners FPÖ meldete Kurz, der derzeit auch die EU-Ratspräsidentschaft hält, plötzlich Einwände an und löste so eine Welle des Widerstands vor allem in Osteuropa aus. Das Gegenmodell zum österreichischen Kanzler personifiziert nun der belgische Premierminister Charles Michel, der für die Zustimmung zum Migrationspakt sogar den Bruch mit seinem nationalistischen Koalitionspartner in Kauf genommen hat.

In die deutsche Debatte griff Merkel mit Verspätung ein, dann aber ungewohnt offensiv

Merkel räumt in Marrakesch ein, dass die illegale Migration in manchen Ländern "große Ängste" auslöse. Diese Ängste würden nun aber von den Gegnern des Paktes genutzt, um Falschmeldungen in Umlauf zu bringen. Auch UN-Generalsekretär António Guterres verwendet große Teile seiner Rede darauf, gegen falsche Behauptungen über den Pakt zu argumentieren. Mitnichten gehe es darum, jedem Migranten zu ermöglichen, in jedes Land seiner Wahl zu ziehen. Zudem sei der Pakt kein Vertrag, dessen Regeln man einklagen könne, sondern eine freiwillige Selbstverpflichtung. Auch Merkel versteht die Aufregung in Deutschland über diese Frage nicht, zumal solche Verpflichtungen in Deutschland gang und gäbe sind, zum Beispiel bei Frauenquoten oder im Umweltschutz.

Bundeskanzlerin Merkel am Montag bei ihrer Ankunft in Marrakesch. (Foto: AFP)

In die deutsche Debatte, die vornehmlich durch Angriffe der AfD auf den Pakt in Gang gekommen war und zuletzt auch Verwerfungen innerhalb der Unionsparteien hervorgerufen hatte, griff Merkel zwar erst mit Verspätung ein, dann aber ungewohnt offensiv. In der jüngsten Haushaltsdebatte des Bundestages rechtfertigte sie den Migrationspakt ausführlich. Die Kampagnen und Methoden gegen die Vereinbarung brachte aber nicht zuletzt aus Sicht der Kanzlerin der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff im Bundestag besonders prägnant auf den Punkt: Ständig würden falsche Behauptungen vorgebracht, verbunden mit der Klage, dass die Medien darüber nicht berichten würden. "Das ist das System der AfD", so Lambsdorff: "Eine Lüge wird in den Raum gestellt, und natürlich hat über die keiner berichtet, weil es ja eine Lüge ist."

Dennoch konnten Zweifel und Widerstand auch in der Unions-Fraktion erst nach langen Debatten durch eine Resolution überwunden werden, die CDU und CSU zusammen mit der SPD in den Bundestag einbrachten. Während die Regierung mit Blick auf die Vereinbarung vor allem die Elemente der Steuerung und Reduzierung von Migration durch Verbesserung der Verhältnisse in den Herkunftsländern betonte, war skeptischen Abgeordneten besonders wichtig, dass der Pakt und die darin formulierten Mindeststandards für Migranten keine schleichende Änderung der deutschen Rechtslage bewirken dürfe.

Die Beruhigung der Parlamentarier war auch eine erste Bewährungsprobe für den neuen Fraktionschef der Union, Ralph Brinkhaus, der in dieser Frage nicht von Merkels Seite wich. Zuletzt erhob auch der CDU-Parteitag keine Einwände mehr gegen den Migrationspakt, die neue Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer, aber auch ihr Gegenkandidat Friedrich Merz hatten ihn ohnehin immer unterstützt.

Und nun sitzt Merkel mit dabei, als der Pakt um 10.20 Uhr an diesem Montag in Marrakesch gebilligt wird. Zumindest hier in der Konferenzhalle ist der Applaus lang und einheitlich.

© SZ vom 11.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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