Migration:Zu wenig Therapien für Flüchtlinge

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Experten vermuten, dass jeder dritte Geflüchtete psychologisch behandelt werden müsste. Doch nur sechs Prozent der traumatisierten Menschen bekommen einen Therapieplatz.

Von Bernd Kastner, München

Traumatisierte Flüchtlinge werden in Deutschland nach wie vor unzureichend psychosozial versorgt. Nur etwa sechs Prozent der behandlungsbedürftigen Flüchtlinge haben einen Therapieplatz in einem der psychosozialen Behandlungszentren für Flüchtlinge und Folteropfer (PSZ). Die Wartezeit beträgt durchschnittlich gut sieben Monate, teils bis zu zwei Jahre. Zwar hat sich die Zahl der Klienten in den bundesweit 37 PSZ in den vergangenen fünf Jahren auf gut 21 000 verdoppelt, allerdings hat sich die Zahl der in Deutschland lebenden Flüchtlinge verdreifacht; entsprechend gewachsen sei die Versorgungslücke. Dieses Fazit zieht die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (Baff) in ihrem Versorgungsbericht, der diesen Mittwoch veröffentlicht wird und auf Daten von 2017 basiert. Seither habe sich der Mangel kaum reduziert.

Experten nehmen an, dass bei jedem dritten Geflüchteten Behandlungsbedarf bestehe oder dieser zumindest abgeklärt werden müsste; die Baff geht von rund 1,5 Millionen in Deutschland lebenden Flüchtlingen aus. Hauptgrund für die unzureichende Versorgung sei laut Lea Flory, einer der Autorinnen des Berichts, dass weiterhin kaum ein Flüchtling einen Platz bei einem niedergelassenen Therapeuten finde: "Nach fünf Jahren sehen wir nur wenige Verbesserungen." Die wenigsten Therapeuten seien wegen bürokratischer Hindernisse bei der Kostenübernahme bereit, Flüchtlinge zu behandeln. Auf dem Land und in Ostdeutschland sei die Situation "desaströs", so Flory. "Vermittlungen ins Regelsystem sind hier schlicht unmöglich."

Zugleich würden nur sechs bis acht Prozent der Therapien in den PSZ regulär von den Krankenkassen oder den Sozial- und Jugendämtern bezahlt. Mehr als 90 Prozent der Therapien müssten deshalb über Projektgelder, Landes- und Bundesmittel oder Spenden finanziert werden. Das sei zu unsicher, erklärt die Psychologin Jenny Baron. "Geflüchtete, die Folter und andere schwere Menschenrechtsverletzungen erlebt haben, brauchen einen sicheren Ort, um ihre Erfahrungen zu verarbeiten." Deshalb müsse die Politik die PSZ so finanzieren, dass diese nicht jedes Jahr neu um ihr Weiterbestehen bangen müssten. Zudem, so fordert die Baff, brauche es ein einheitliches Konzept, um vulnerable Flüchtlinge zu identifizieren und zu behandeln; auch Dolmetscherkosten müssten regulär übernommen werden.

© SZ vom 13.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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