Der Ton wird schärfer in den Metropolen. Wegen steigender Mieten laden Initiativen in München zur Demo "#ausspekuliert", in der Hamburgischen Bürgerschaft reden sich Opposition und Stadtregierung über den Wohnungsmangel die Köpfe heiß, in Berlin gerät eine Bausenatorin in die Defensive, weil städtische Wohnungen nicht schnell genug fertig werden. Und dann kommen da mal eben die Sachverständigen des Wirtschaftsministeriums und wollen Mietpreisbremse und sozialen Wohnungsbau kaltstellen: Beides helfe nicht viel gegen Mietwahnsinn und Wohnungsnot.
Am Donnerstag hat der Wissenschaftliche Beirat des Ministeriums in Berlin sein neuestes Gutachten vorgestellt, ein vernichtendes Urteil für die Wohnungspolitik des Bundes. Demnach können Mieter froh sein, dass die Mietpreisbremse immer noch nicht wirkt. "Denn wäre sie wirksam, würde die Knappheit in den Ballungsräumen noch größer", sagt der Konstanzer Ökonom Friedrich Breyer. Er hat das Gutachten federführend betreut. Die Nachfrage nach jeder einzelnen Wohnung würde durch die gebremsten Mieten umso größer, und obendrein gebe es weniger Anreiz zum Bau neuer Wohnungen - weil die ja nicht so viel abwerfen. Für "Randgruppen" werde es damit noch schwerer, Wohnungen zu finden. Dies sei einmütige Meinung im Beirat; 34 Ökonomen gehören ihm an. "Würde die Mietpreisbremse wirken, wäre die Wirkung verheerend", sagt Breyer.
Nur geringfügig besser kommt der soziale Wohnungsbau weg. Im Zuge ihrer "Wohnraumoffensive" will die große Koalition weitere zwei Milliarden Euro dafür ausgeben. Dadurch entstünden zwar neue Wohnungen, was die Lage am Markt entspanne, heißt es in dem Bericht. "Dem stehen aber gravierende Nachteile gegenüber." So werde nur beim Einzug geprüft, ob Mieter wirklich Anspruch auf eine Sozialwohnung haben. Wächst ihr Einkommen im Lauf der Zeit, hat das keinerlei Folgen. Einzig Hessen habe eine "Fehlbelegungsabgabe", die als Aufschlag von den Mietern erhoben werde. Allen anderen Bundesländern sei der Aufwand dafür zu groß. Obendrein könnten "soziale Ghettos" entstehen, wenn an Stadträndern im großen Stil Sozialwohnungsblocks gebaut werden. Und weil es auch künftig weniger Sozialwohnungen als sozial schwache Familien gebe, habe auch hier der Vermieter die freie Auswahl - oft zuungunsten der Ärmsten. "Der soziale Wohnungsbau sollte zurückgefahren werden", sagt Breyer.
Die Alternative der Ökonomen ist radikal. Sie wollen die Kräfte des Marktes entfesseln - und lieber den Bedürftigen unter den Mietern mehr Zuschüsse gewähren. Steigende Mieten würden demnach automatisch zu mehr Wohnungsneubau führen. Damit aber die Ärmsten deshalb nicht auf der Straße landen, will der Beirat das Wohngeld erhöhen. Bislang werde es nur von einem Bruchteil derjenigen in Anspruch genommen, die ein Recht darauf hätten. Sowohl das Wohngeld selbst als auch jene Mietgrenze, bis zu der es gezahlt werde, müssten angehoben werden. "Das Wohngeld ist zielgenau und treffsicher", lobt der Konstanzer Professor Breyer.
Der Bau neuer Wohnungen wiederum lasse sich durch laxere Bauvorschriften und eine Senkung der Grunderwerbsteuer ankurbeln. Letzteres sei auch sinnvoller als das Baukindergeld, mit dem die Koalition Familien zum Neubau anspornen will. Auch bräuchten die Kommunen mehr Anreize, Bauland auszuweisen. So schlagen die Ökonomen vor, bei der Umwandlung von Acker- in Bauland einen Teil der Wertsteigerung abzuschöpfen. Statt einem glücklichen Landwirt käme das Geld dann der Gemeinde zugute, die es in Infrastruktur investieren könne. Und die Grundsteuer, die ohnehin reformiert werden muss, wollen sie in eine Bodensteuer umwandeln. Bei gleichem Steueraufkommen wäre die Last auf unbebautes Land so höher als auf bebautes. Das mindere den Anreiz, Grundstücke brach liegen zu lassen.
Der Beirat kann selbst aussuchen, womit er sich beschäftigt. Nicht zufällig ist es diesmal der Wohnungsbau, zu dem in vier Wochen ein Gipfel im Kanzleramt steigt. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) allerdings reagierte recht verhalten auf den Rat seiner Experten. Er danke dem Beirat, ließ er mitteilen. Aktuell diskutiere die Regierung "intensiv", wie die Mietpreisbremse besser werden könne.
Deutlicher wurde der Mieterbund. "Wir sehen ja gerade, was die Kräfte des Marktes anrichten", sagt Mieterbund-Chef Lukas Siebenkotten. "Gerade deshalb ist eine Mietpreisbremse so wichtig." Nur lasse sie sich zu leicht umgehen. Auch sozialer Wohnungsbau sei unverzichtbar. "Wir brauchen ein Preissegment, das keinen Renditedruck hat." Insgesamt stammten die Vorschläge "tief aus der Mottenkiste".