Meine Presseschau:Unsichere Insel

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Taiwan hat gewählt. Erstmals hat die Demokratische Fortschrittspartei DFP, die Mehrheit im Parlament. Chinesischsprachige Medien sehen neue Zeiten anbrechen. Und haben Zweifel, ob das gut ist.

Von KAI STRITTMATTER

Taiwan hat am vergangenen Wochenende gewählt. Erstmals wurde eine Frau Präsidentin, die Juristin Tsai Ing-wen. Erstmals hat ihre Partei, die aus der Unabhängigkeitsbewegung hervorgegangene Demokratische Fortschrittspartei DFP, die Mehrheit im Parlament. Medien überall im chinesischen Sprachraum würdigten das als Zeitenwende. Die meisten waren sich zudem einig, dass nun eine "Periode der Unsicherheit" (so Taiwans China Post) bevorstehe, vor allem was die heiklen Beziehungen zwischen Taiwan und Festland-China angeht. Pekings Führung, die auf Wiedervereinigung dringt, reagierte erst einmal vorsichtig. Als erste Warnung ließ sie zwar Truppen, die nahe Taiwan stationiert sind, kleine Manöver abhalten, aber selbst ein Sturmgeschütz wie die Pekinger Global Times kommentierte verhalten: Taiwan habe für "Tsai Ing-wen gestimmt, aber keineswegs für die Unabhängigkeit Taiwans".

Das hielt Online-Trolle aus China nicht davon ab, die Facebook-Seite der neugewählten Präsidentin zu attackieren: Allein am Donnerstag hinterließen sie mehr als 70 000 nationalistische Propagandabotschaften. Tsai antwortete gelassen: Es sei "die Größe dieses Landes" - also Taiwans -, schrieb sie, dass jeder hier Rechte wie Meinungsfreiheit habe. Impliziert war darin natürlich: Im Unterschied zu eurer Heimat, der Volksrepublik China.

Denken ist riskant. Es verlangt die Bereitschaft, auch Irrtümer einzugestehen

Taiwan als das andere, das demokratische China, das war vor allem für die Presse in Hongkong ein Thema, wo gerade erbittert um die Zukunft der von Peking mehr und mehr in den Würgegriff genommenen Stadt gestritten wird. Einer der meistgeteilten Posts in den sozialen Medien nach der Wahl war eine Infografik der Hongkonger Nachrichtenseite Standnews. Man sah darauf die Gesichter der Regierungschefs von China (Xi Jinping), Hongkong (Leung Chun-ying) und Taiwan (Tsai Ing-wen) und daneben die Anzahl der Stimmen, mit denen sie ins Amt gewählt wurden: Hongkongs Leung reichten ganze 689 Stimmen (von Pekings handverlesenen Wahlmännern), für Chinas Präsident Xi stimmten immerhin 2952 Leute (im Scheinparlament in Peking) - und für Tsai Ing-wen mehr als 6,8 Millionen (das Volk). Hongkongs Apple Daily feierte Taiwans "reife Demokratie", die der Insel "Offenheit, Toleranz und eine starke Kraft zur Selbsterneuerung" verleihe. Das Online-Portal Initium berichtete von Delegationen junger Hongkonger Demokraten, die eigens nach Taiwan geflogen waren, um "vom Vorbild Taiwan" zu lernen. Natürlich fuhr auch die Gegenseite Geschütze auf: Die chinafreundliche Takungpao schrieb von einer "riesigen Krise hinter der glänzenden demokratischen Fassade": Die Demokratie habe "die politische Autorität in Taiwan zersetzt". Die Zeitung warnte gar, Taiwan werde aufgrund seiner "exzessiven" und "arroganten" Demokratie innenpolitisch und wirtschaftlich in die "Griechenlandfalle" und außenpolitisch in die "Ukrainefalle" tappen. Schrille Mahnungen, die natürlich auf die Debatte innerhalb Hongkongs zielten.

Dabei schreiben auch Taiwans Kommentatoren von einer "unsicheren Zukunft" wegen möglicher Spannungen mit China. Am einen Ende des Spektrums gibt sich die Taipei Times optimistisch: Chinas Präsident Xi sei pragmatisch, er habe mit genug Problemen zu Hause zu kämpfen. Die pekingfreundliche Taipeher Zeitung China Times hält das für naiv, sie mahnt, die Taiwaner verstünden China zu wenig. Ein Missmanagement des Verhältnisses könne dazu führen, dass sich "Dunkelheit" über die Meerenge von Taiwan lege und die "ökonomischen, sozialen und politischen Fortschritte eines halben Jahrhunderts sich in Luft auflösen".

© SZ vom 23.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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