Meine Presseschau:Sachsens Schande

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(Foto: fg)

Nach den fremdenfeindlichen Exzessen dieser Woche steht der Freistaat Sachsen weltweit in den Schlagzeilen. Und viele ostdeutsche Zeitungen haben mit der Selbsterforschung begonnen: Wie konnte es so weit kommen?

Ausgewählt von Cornelius Pollmer

Im vergangenen Jahr hat es Sachsen mehrmals in die New York Times geschafft, deren Titelseite inbegriffen. In dieser Woche nun blickten Zeitungen aus Österreich und Großbritannien, aus Tschechien und Spanien in den Osten Deutschlands. Die Ortsnamen in den Berichten haben sich geändert, das Thema ist geblieben: Fremdenfeindlichkeit. In Bautzen bejubelten Menschen den Brand einer geplanten Asylunterkunft - die spanische Zeitung El País sieht darin ein "peinliches Spektakel". In Clausnitz umlagerte ein johlender Mob einen Bus mit Geflüchteten. Die Polizei gab diesen in der Folge eine Mitschuld an der Eskalation. So soll ein Junge im Bus der Menge davor den Stinkefinger gezeigt haben. Der Standard aus Österreich schreibt dazu: "Wer als Verantwortungsträger einem verängstigten Jugendlichen Schuld (. . .) in die Schuhe schieben will, ist mit seiner Verantwortung überfordert."

Clausnitz und Bautzen, das sind nur die jüngsten und prominenten Fälle von Fremdenfeindlichkeit in Sachsen. Die Zeitungen der Region setzen sich zwangsläufig häufiger und regelmäßig mit Protesten und Anschlägen auseinander. Aus Sicht der Sächsischen Zeitung aus Dresden reihen sich die beiden Angriffe nahtlos ein "in die Kette von widerlichen Vorfällen", die Sachsen "seit Monaten einen Spitzenplatz in der Liga ausländerfeindlicher Exzesse sichern". Sachsen habe mehr als ein Problem mit Fremdenhass: "Es fehlt an politischer Führung, an Klarheit, an Haltung, die vermittelt werden muss. Auch dort, wo es nicht gefällt." In einem weiteren Kommentar äußert das Blatt Verständnis für Unzufriedenheit über viele ungelöste Fragen in der Asylpolitik des Bundes - und Unverständnis darüber, dass so viele Menschen den Ausweg daraus in Hass und Gewalt suchen. Statt den Imageverlust Sachsens zu beklagen, "sollten wir mehr darüber nachdenken".

Die Freie Presse aus Chemnitz vermisst in dieser schwierigen Situation ebenfalls einen führungsstarken Ministerpräsidenten. Stanislaw Tillich wirke "müde, angeschlagen und eher hilflos". Dabei müsse die Landesregierung gerade jetzt an einer neuen Vertrauensbasis arbeiten. Die alte sei in den Jahren seit der Wiedervereinigung erodiert, "in denen vor allem die CDU mit gluckenhaftem Gönnertum Sachsen regierte. Diese Art der Bevormundung ist endgültig gescheitert". Das Blatt nimmt die Ereignisse in Clausnitz und Bautzen auch zum Anlass, um festzuhalten, wie sich die Verhältnisse in Sachsen verändert haben: "Noch vor einem Jahr wären solche Taten schier unvorstellbar gewesen. Da gehörte es zum gesellschaftlichen Konsens, dass man Frauen und Kinder nicht anschreit, bis sie weinen. (. . .) Doch im letzten Jahr sind Dämme gebrochen."

Im Zuge dieser Entwicklung fällt mit Blick auf Sachsen in diesen Tagen ein bestimmtes Wort so häufig, dass man annehmen könnte, es wäre ein Synonym für das ganze Bundesland. Der Kölner Express verortet "Die Schande" in Sachsen, die tageszeitung berichtet über "Die Schande von Sachsen" und die Hamburger Morgenpost färbt auf einer Karte gleich das ganze Bundesland braun ein und nennt es: "Der Schandfleck". Die Thüringer Allgemeine aus Erfurt bemerkt zwar, das Wort Schande sei treffend. Sie wundert sich gleichwohl darüber, "dass es fast so etwas wie Erleichterung darüber gibt, dass die Fronten zwischen Guten und Bösen zurechtgerückt sind. Alls passt ja wieder so schön: Sachsen, AfD, Polizei. Wieder mal zeigt der Osten seine hässliche rassistisch Fratze". Es gebe eine Barrikade im Land, auf der einen Seite "AfD, Pegida und Konsorten", auf der anderen "das linke Empörungskollektiv". Der Raum dazwischen, er werde kleiner.

© SZ vom 27.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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