Meine Presseschau:"Que país é este?"

Lesezeit: 2 min

In Brasilien ist das Ansehen der Regierung miserabel. Das hat mit der schlechten Wirtschaft zu tun, aber auch mit der Presse.

Ausgewählt von Boris Herrmann

" Que país é este?", so überschrieb Merval Pereira einen seiner jüngsten Texte: "Was ist das nur für ein Land?" Gemeint war Brasilien, das im Moment tatsächlich ziemlich rätselhaft ist. Aber zunächst zu Pereira. Wer in Brasilien die Nachrichten verfolgt, der kann diesen fleißigen Mann bald im Schlaf zeichnen. (Mit Seitenscheitel und schmalem Schnäuzer erinnert er an einen der Dalton-Brüder aus den Lucky-Luke-Comics.) Pereira ist der Chef-Kolumnist der Tageszeitung O Globo, wo er jeden Tag einen Leitartikel mit Foto verfasst. Am Abend ist er als Chef-Kommentator im Fernsehsender Globo News im Einsatz. Und zwischendurch kann man sich von ihm auf Globo Radio informieren lassen. Pereiras Beiträge bestechen, neben ihren unergründlichen Schachtelsätzen, vor allem durch Verlässlichkeit im Inhalt. Im Grunde liefert er Tag für Tag auf allen Kanälen dieselbe Antwort auf dieselbe Frage: Was ist Brasilien für ein Land?

Ein Land, das von der korrupten Arbeiterpartei PT zugrunde gerichtet wird und über das die unfähige Präsidentin Dilma Rousseff die Kontrolle verloren hat. So et-wa stellt Merval Pereira das konsequent dar. Ganz falsch liegt er damit nicht. Es ist aber auch nicht die ganze Wahrheit. Dass die konservative Opposition ebenfalls in allerlei Skandale verstrickt ist und nichts Konstruktives beizutragen hat, das kommt bei Pereira nicht vor. Seine Kunst besteht darin, dass er jede neue Entwicklung so zu deuten weiß, dass sie exakt seiner Kampfthese entspricht. Wenn sich Rousseffs Amtsvorgänger Luiz Inácio Lula da Silva beispielsweise auf dem PT-Parteitag für die Präsidentin starkmacht, dann ist er ein "Feigling". Und wenn er sie ein paar Tage später doch kritisiert, dann ist er ein "Heuchler".

Weil seine PT im chronischen Umfragetief steckt, sieht Parteigründer Lula offensichtlich seine Chancen schwinden, 2018 ins Präsidentenamt zurückzukehren. Wohl deshalb hat er nun eine Art Ruckrede gehalten, in der er der jetzigen PT-Führung vorwarf, alt und träge geworden zu sein. Jeder denke nur an sich und seine Karriere, sagte er. Das entspricht ziemlich genau dem, was die größtenteils regierungskritischen Massenmedien der PT seit Monaten vorhalten. Gejubelt hat trotzdem kaum jemand über Lulas Rundumschlag. O Globo notierte hämisch: "Der Ex-Präsident sieht, genau wie der ganze Rest der Welt, dass der beste Ort im Moment die Opposition ist."

So ähnlich sehen das auch die Leitartikler von Estado de São Paulo. Da ist zu le-sen: "Mit Krokodilstränen erntet Lula die bitteren Früchte, die er selbst gesät hat." Und: "Er verhält sich wie ein Kapitän, der sein Schiff in Untiefen steuert und sich im Moment der Havarie mit dem ersten Rettungsboot davonmacht." Die Bilder vom Krokodil, von den Früchten und vom Kapitän mögen abgenutzt sein. Das wiederum kann man dem omnipräsenten Pereira nicht vorhalten. Er vergleicht Lulas parteiinterne Kritik mal eben mit der Kulturrevolution von Mao Zedong, die Millionen Menschenleben kostete. In der Folha de São Paulo wundert sich immerhin einer von vielen Kolumnisten darüber, dass "Lula fürs Reden genauso wie fürs Schweigen kritisiert wird."

Die Zustimmung zur Regierungspartei PT ist innerhalb weniger Monate von gut 40 Prozent auf etwa zehn Prozent abgesackt. Und wenn man fragt, was das eigentlich für ein Land ist, in dem so etwas möglich sein kann, dann gehört zu einer ehrlichen Antwort auch dies: Es ist ein Land mit einer Medienlandschaft, die von einigen Dynastien und einem Imperium namens "Rede Globo" kontrolliert wird. Und dort wird ungebremster Kampagnenjournalismus betrieben.

© SZ vom 27.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: