Meine Presseschau:Linke auf der Suche nach einer Vision

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Italien streitet über die "Arroganz" von Ex-Premier Matteo Renzi und hofft auf neue Perspektiven.

Ausgewählt von Thomas Steinfeld, Venedig

Als sich vor einigen Tagen der Partito Democatico, die mehr oder minder sozialdemokratische Partei Italiens, in zwei Teile zerlegte, schien der ehemalige Premierminister Matteo Renzi der Grund der Spaltung zu sein. Im Herbst war er mit seinem Referendum untergegangen, einer Volksabstimmung, bei der am Ende keiner mehr wusste, worum es eigentlich ging, aber alle den Verdacht hatten, der Regierungschef strebe eine radikale Zentralisierung der Politik an, in deren Mitte er selbst stehen wolle. Wenn von Renzi die Rede war, tauchte deswegen immer wieder das Wort "Arroganz" auf.

Bei dieser "Arroganz" handelt es sich indessen weniger um ein Problem der Persönlichkeit als vielmehr um ein strukturelles Dilemma. Renzi mag glauben, er allein verfüge über die Fähigkeit, den Staat, der die ökonomische Konkurrenz gegen die wirklich großen Mächte in Europa verlor, in eine neuerliche Wiedergeburt (die wievielte soll es dieses Mal sein?) zu führen. Doch Fakten und Stimmung sprechen dagegen, und zwar vor allem unter Menschen, die auf irgendeine Weise zur italienischen Linken zählten. Wenn nun der Philosoph und Schriftsteller Massimo Cacciari, lange Zeit Bürgermeister in Venedig, in der Wochenzeitschrift L'Espresso von der "Großen Unordnung" spricht, die in die Welt eingezogen sei, dann steckt dahinter einer Apologie seiner alten Idee, Italien habe ein Land " più vicina" zu werden - also mehr auf den einzelnen Menschen ausgerichtet, nachbarschaftlicher und kommunaler. Der Universalismus sei gefährlich geworden, schreibt er, und zwar sowohl im Hinblick auf die "allgemeinen Gesetze" der Wirtschaft, wie im Bezug auf eine Rückkehr zur streng nationalstaatlichen Ordnung.

Man müsse wieder von der Arbeit reden. Nur so könne die Linke wiedererstehen, meint der Europaabgeordnete Curzio Maltese, der zu einer kleinen Partei namens "Sinistra Ecologia Libertà" ("Linke Ökologie Freiheit", in beiden Kammern des Parlaments vertreten) gehört, in einem Beitrag für das Magazin der Tageszeitung La Repubblica. Statt über die Arbeit und über deren Ertrag zu reden, diskutiere Italien über das Wahlrecht. Insofern sei es kein Wunder, wenn Arbeiter, die sich vom Staat wie von ihren traditionellen Parteien betrogen fühlen, in Scharen zu Populisten überliefen, die mit einer rechten Ideologie die ehemals linken Themen übernommen hätten. Bernie Sanders macht Curzio Maltese in seiner Kritik an den ehemaligen Genossen ebenso Eindruck wie Martin Schulz, der ja offenbar versucht, die Sozialdemokratie aus dem Geist der Solidarität wiederzubeleben.

Mehr Hoffnung macht dagegen die christliche Wochenzeitschrift La famiglia cristiana. Sie hat den jüngsten Bericht der Wirtschaftsorganisation des italienischen Südens ("Svimez") gelesen, wonach die Ökonomie des Mezzogiorno nun schneller wachse als die des Nordens. Das Wachstum gehe vor allem auf ein neues Interesse an der Landwirtschaft zurück, an dem erstaunlich viele junge Leute teilhätten. Weder der Bericht der "Svimez" noch der optimistische Artikel der famiglia cristiana erwähnen indessen, in welchem Maß die Rückkehr zur Agrarwirtschaft auch Konsequenz eines Scheiterns ist, sowohl für die jungen Menschen, von denen vermutlich nicht alle hatten Bauern werden wollen, als auch für den italienischen Süden, der ja Jahrzehnte hinter sich hat, während derer immer wieder Industrialisierung versucht wurden. Die Rückkehr zur Landwirtschaft fügt sich indessen in politische Verhältnisse, in denen die Renaissance eines alten Italiens - einschließlich Regionalismus und Slow Food - als die verlockendste aller Visionen erscheint.

© SZ vom 25.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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