Meine Presseschau:Aktion Autowäsche

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Sensationelle Dinge passieren in Lateinamerika. Die Öffentlichkeit nimmt Korruption unter Spitzenpolitikern nicht mehr einfach hin. Berichte über Zahlungen des brasilianischen Konzerns Odebrecht wühlen alle auf.

Ausgewählt von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Wenn Spitzenpolitiker in Lateinamerika unter Korruptionsverdacht stehen, dann hält sich die Verwunderung in Grenzen. Verblüffung herrscht erst, wenn diese Politiker deshalb in Schwierigkeiten oder gar ins Gefängnis geraten. Seit sich die Korruptionsermittlungen der Operation Lava Jato (Autowäsche) von Brasilien aus in alle Himmelsrichtungen verästeln, kommen die Zeitungen nicht mehr aus dem Staunen heraus. "Man kann nicht aufhören, sich zu wundern", schreibt etwa La Nación aus Argentinien. Gemeint ist nicht der grenzenlose Schmiergeldsumpf, sondern die forsche Art, dagegen vorzugehen.

Der derzeit spektakulärste Erfolg der Lava-Jato-Fahnder sind die gesammelten Kronzeugenaussagen der ehemaligen Führungsriege des brasilianischen Baukonzerns Odebrecht. Sie bringen heutige und ehemalige Staatschefs der gesamten Region in Bedrängnis. Odebrecht hat demnach über Jahre hinweg systematisch Geld an höchste Regierungskreise verteilt, um sich Aufträge zu sichern. La Nación nimmt die Enthüllungen zum Anlass, um ein Loblied auf die Justiz im Nachbarland anzustimmen: "125 Verurteilungen, bei denen sich die Haftstrafen auf 1317 Jahre summieren. Diese Ermittlungen haben Brasilien für immer verändert. Eine über Jahrzehnte vorherrschende illegale Praxis, wie Politik und Geschäfte gemacht werden, hängt plötzlich in den Seilen."

Zwar verweist La Nación auch auf die Kollateralschäden der Verhaftungswelle: "Sie hat zu einer Stigmatisierung der kompletten politischen Klasse beigetragen, die Volkswirtschaft paralysiert und eine Identitätskrise unter den Brasilianern ausgelöst." Trotzdem wäre aus Sicht dieser Zeitung eine derartige Schocktherapie auch in anderen Ländern dringend notwendig, zum Beispiel in Argentinien.

Die Kollegen von La Estrella de Panamá sehen das anders. Sie scheinen sich vor allem um den heimischen Finanzstandort zu sorgen, der nach jetzigem Ermittlungsstand zu den Hauptumschlagplätzen für brasilianisches Schmiergeld gehört. Das Blatt zeichnet das Bild einer internationalen Verschwörung und verweist darauf, dass die Kronzeugenregelung im Fall Odebrecht in einer Kooperation brasilianischer und US-amerikanischer Behörden zustande kam. "Warum wird mit dieser Regelung die Korruption dieses multinationalen Konzerns belohnt, der sich seine Vormacht durch die Bestechung von Amtsträgern sicherte, die von der nordamerikanischen Regierung ausgesucht werden?", fragt La Estrella de Panamá. Die Antwort liefert die Zeitung gleich hinterher: Damit sei der Weg frei für die Jagd auf all jene, die "die USA gerne aus dem politischen Spiel entfernen möchten".

Bemerkenswert sind auch die Reaktionen aus Peru, wo sowohl Präsident Pedro Pablo Kuczynski als auch seine drei letzten Amtsvorgänger im Verdacht stehen, Geld von Odebrecht bezogen zu haben. Bei El Comercio aus Lima klingt es fast so, als wären sie Opfer einer korrupten brasilianischen Staatspolitik. Die Zeitung notiert mit patriotischem Unterton: "Selbstverständlich tragen wir unseren Teil der Verantwortung. Aber der brasilianische Staat muss auch Reparationen an Peru bezahlen für den enormen Schaden, den er hier angerichtet hat."

"Das ist selbstverständlich ein Irrtum", entgegnet darauf die Lateinamerika-Ausgabe der spanischen Zeitung El País. So ziemlich alles, was Lateinamerika über die Korruption in einzelnen Nationen wisse, stamme aus den brasilianischen Akten. Es dürfe deshalb jetzt nicht darum gehen, den Schaden aufzurechnen, sondern den Nutzen zu begreifen: "Brasilien verdanken wir eine beispiellose juristische und gesellschaftliche Revolution."

© SZ vom 11.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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