Medizin:Schmerzhaft schön

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Schicke Schuhe, kaputte Füße - das lernten Modeinteressierte schon im Mittelalter.

Von Werner Bartens

Die Mode fordert nicht erst ihre Opfer, seit Körperformen, die für Normalsterbliche unerreichbar sind, in Lifestylemagazinen ausgestellt werden. Das Phänomen ist keineswegs auf die Moderne beschränkt. Zu eng geschnürte Korsette schnitten jungen Damen bereits im 16. Jahrhundert die Luft ab oder führten gar zu Verformungen des Brustkorbs. Trugen Frauen Krinolinen oder andere Reifröcke, mussten sie dafür den Wendekreis eines Kleinwagens in Kauf nehmen. Derartige Fashion Victims gab es sogar schon im Spätmittelalter, wie Ausgrabungen in England nun zeigen. Die neue Schuhmode war daran schuld - und beide Geschlechter mussten leiden.

Forscher der Universität Cambridge belegen im Fachblatt International Journal of Paleopathology, dass im Spätmittelalter eine auch heute verbreitete Fußfehlstellung immer häufiger wurde. Bei Ausgrabungen auf Grabstätten und ehemaligen Friedhöfen stellten die Wissenschaftler um Jenna Dittmar fest, dass Skelette aus dem 11. bis 13. Jahrhundert nur in sechs Prozent der Fälle einen Hallux valgus aufwiesen. Im 14. und 15. Jahrhundert erhöhte sich der Anteil der Skelette mit dieser Deformität hingegen auf beachtliche 27 Prozent. Hallux valgus bezeichnet in der Fachsprache einen Schiefstand der Großzehe, die in Richtung der kleineren Zehen abweicht, was zu schmerzhaften Entzündungen am Großzehengrundgelenk führen kann. Wer jahrelang enge, spitze Schuhe trägt, kennt das Leiden.

"Wir halten diese Fehlstellung für ein modernes Problem", sagt Dittmar. "Aber unsere Arbeit zeigt, dass es offenbar auch schon ein häufiges Leiden unter Erwachsenen im Mittelalter war." Die Archäologen aus Cambridge führen die Zunahme der Fehlstellung auf einen Wandel der Schuhmode zurück. "Das 14. Jahrhundert brachte eine Fülle an neuen Kleidungsstilen und Schuhen mit sich", sagt Piers Mitchell, der ebenfalls an der Untersuchung beteiligt war. "Darunter waren auch Schnabelschuhe mit engen, lang gezogenen Spitzen." Im Gegensatz zu den vorherigen Epochen lief gegen Ende des 14. Jahrhunderts nahezu jeder Schuh vorne etwas spitzer zu - und zwar für Erwachsene wie Kinder gleichermaßen. Geoffrey Chaucer porträtiert in seinen "Canterbury Tales" Mönche mit spitzen Schuhen. Die Mode griff so stark um sich, dass König Edward IV. im Jahr 1463 ein Gesetz erließ, wonach die Schuhspitze maximal zwei Inch lang sein durfte, umgerechnet fünf Zentimeter.

Die Wissenschaftler stellten interessante Unterschiede fest: Der Fußschaden durch falsches Schuhwerk war offenbar ein Oberschichtenphänomen: In der Grabstätte eine wohlhabenden Augustinerklosters wiesen 43 Prozent der Skelette einen Hallux valgus auf, während auf dem ländlichen Friedhof ein paar Meilen entfernt nur drei Prozent diese Deformität zeigten. An den Skeletten mit Hallux valgus wurden zudem auch häufiger Knochenbrüche gefunden; die schicken, aber unbequemen Schuhe ruinierten offenbar nicht nur die Knochen, sondern führten auch häufiger zu Stürzen. Zumindest traf dies für Skelette zu, die auf ein Alter von mindestens 45 Jahren datiert wurden. Modische Jugendsünden rächen sich eben manchmal erst im Alter.

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