Medien:Susanne von Arabien

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Der Geiselfall Osthoff bei "Beckmann": Die Deutschen scheinen ein Faible für komplizierte Frauen zu haben.

Hans Leyendecker

Das Gute vorweg: Als alleiniger Gast bei Reinhold Beckmann in der ARD war Susanne Osthoff, alles in allem, Herrin einer Sprache: Deutsch mit bayerischer Grundierung. Während die ehemalige Geisel kurz nach ihrer Befreiung im Interview mit al-Dschasira auf Hocharabisch gestellte Fragen meist in schlechtem Englisch beantwortet hatte und im Gespräch mit ZDF-Moderatorin Marietta Slomka vom heute-journal zumeist nebulös geblieben war, konnte der Beckmann-Zuschauer sie verstehen. Das ist in ihrem speziellen Fall schon eine ganze Menge.

Ob ansonsten sie jemand begreift oder nicht, ist eine ganz andere Frage.

Aber welches Leben ist schon in allen Facetten nachvollziehbar? Die Frau, die Opfer ist und sonst nichts, teilt die Nation auf merkwürdige Weise. Sie scheint Projektionsfläche für Vorurteile und auch für Sehnsüchte zu sein.

Die eigenwillige Archäologin wird als unheimliche Fremde verteufelt oder als verfolgte Unschuld hochgeschrieben - Hexe und Katharina Blum unserer Zeit zugleich. Beides ist überzogen, beides ist maßlos.

Susanne Osthoff hat im Stern auf vielen Seiten geredet, auch über ihre Familie, über den aggressiven Vater. Bei n-tv, zusammengefasst im Nachtjournal des Muttersenders RTL, sprach sie mit Antonia Rados. Die beiden Frauen waren unter anderem gemeinsam einkaufen.

Während des Beckmann-Talks konnte jeder sein jeweiliges Vor-Urteil bestätigt sehen. Erstmals schilderte Susanne Osthoff im Fernsehen in verständlichen Sätzen die Entführung und ihre Gefühle - den Schock, die Todesvision: "Wenn Sie im Kofferraum liegen, haben Sie keine Chance mehr."

Glaubwürdig, aber merkwürdig

Sie bat um Gnade: "Ich bin Moslem und habe ein Kind." Dass die Entführer angeblich, wie angedeutet wurde, Troupiers einer Unterabteilung des Blutsäufers Musab al-Sarkawi gewesen sein sollen, wird von deutschen Sicherheitsbehörden stark bezweifelt.

Aus Ermittler-Sicht waren es Kriminelle, die Lösegeld wollten. Die Deutsche, die in Bagdad viele kannten, war ein willkommenes Opfer der Entführungsindustrie.

In Deutschland, sagte Susanne Osthoff, finde sie "keinen Platz mehr", an dem sie leben möchte. Sie hat das Zweistromland als Heimat lieb gewonnen. Wenn es Böse gibt, dann handelt es sich um irakische "Widerstandskämpfer" vulgo Terroristen. Vieles, was sie sagt, ist schwer nachzuvollziehen.

Einerseits soll sie gleich von den Entführern als jene "Susanne" erkannt worden sein, die immer für die Belange der Iraker da war. Andererseits wurde sie angeblich als jüdische Geheimdienstoffizierin bezeichnet.

Bei al-Dschasira war sie mit einem Schal über dem Kopf aufgetreten, beim ZDF hatte sie darauf bestanden, verschleiert zu bleiben. Die verblüffte ZDF-Moderatorin Slomka fragte im Vorgespräch: "Wollen Sie während des Gesprächs verschleiert bleiben?" Osthoff: "Ich habe dafür eindeutig Gründe. (...) Ich bin jetzt nicht mehr in der Verfassung, noch in mein Gesicht, ich meine, ich nicht mehr, ja? Das ist die Sitte des Landes und ich passe mich hier eben an."

Daraus wurde bei Beckmann: Sie sei quasi von den ZDF-Leuten vor die laufende Kamera gezerrt worden und habe nicht mal Zeit gehabt, in die Maske zu gehen. Das ZDF-Vorgespräch, an das sie sich in der ARD am Montagabend nicht mehr erinnern konnte, war länger gewesen als das Interview, das im Zweiten sehr gerafft ausgestrahlt wurde.

Susanne Osthoff wirkte bei Beckmann seltsamerweise glaubwürdig und merkwürdig zugleich. Sie betrachtete ihr Leben wie durch einen Vexierspiegel. Selbst wenn sie klar aufzutreten schien, kann sie noch immer traumatisiert sein. Sie hat, wie viele Menschen, ihre eigene Wirklichkeit und ihre eigene Wahrheit.

Eine Frau aus der bayerischen Provinz, die sich durchschlägt und ihr mühsames Leben ("Ich weiß morgens nicht, wo ich abends schlafe") auch damit erklärt, dass sie an einem Tag mehr erlebe als mancher Sesselfurzer in zehn Jahren. Ein Opfer spielt die verfolgte Unschuld: Die Medien seien hinter ihr her. Sie ist wichtig, keiner will sie verstehen.

"Sei nicht so aggressiv"

Das wird den Daheimgebliebenen und einem Teil der Medien nicht gerecht, aber darum geht es ihr nicht. Wenn sie sagt, dass nur ein Moslem die höhere Gerechtigkeit Gottes kenne, unterschlägt sie die Milliarden anderer, die auf ihren Gott vertrauen. "Diesseits der Pyrenäen Wahrheit, jenseits Irrtum", erkannte der Philosoph Blaise Pascal (1623-1662).

Vieles, was Susanne Osthoff macht und unterlässt, wird wohl nur Kennern der Familie verständlich, und ein solcher Experte möchte man nicht werden.

Dieses Familienleben mit Schwester, Bruder und der kranken Mutter scheint ein Hexenkessel zu sein. Hebt man den Deckel, steigen Dämpfe auf. Was der Zuschauer nicht sehen konnte: Die Aufzeichnung des von Reinhold Beckmann einfühlsam geführten Gesprächs dauerte 105 Minuten. Es musste also um 30 Minuten gekürzt werden. Zweimal wurde unterbrochen.

Erst gingen der Kettenraucherin Osthoff, die die Rocker-Marke Silk Cut pofelt, die Zigaretten aus. Dann stürmte die 12-jährige Tochter Tarfa, die im Nebenraum die Aufzeichnung verfolgte, ins Studio und rief der Mutter zu, die solle nicht so pauschal auf die Deutschen schimpfen: "Nicht alle reden schlecht über dich. Sei nicht so aggressiv."

Die Interviewte war nach Wahrnehmung Beckmanns zunächst aggressiv und wurde am Ende ganz weich. Schön war ihr Traum: Sie möchte an einem Ort leben, der frei von Vorurteilen ist - am liebsten in einem Zelt. 3,59 Millionen schauten der Beichte der Muslima zu - ein Marktanteil von 22,5 Prozent.

Nur eine Beckmann-Sendung war ähnlich erfolgreich: Das Gespräch mit Susanne Juhnke, die auch widersprüchlich war und von einigen Medien als Frau Raffzahn verunglimpft wurde. Die Nation scheint ein Faible für schwierige Frauen zu haben.

© SZ vom 11.1.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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