McCain und die Finanzkrise:Manöver am Abgrund

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John McCain präsentiert sich nicht mehr als Wahlkämpfer, sondern als Patriot - doch die meisten werten dies nur als Taktik.

Christian Wernicke

Seine Stimme klingt gebrochen. Und an der Leidensmiene, die John McCain aufgelegt hat, lässt sich ablesen, dass die Lage der Nation ernst sein muss. Sehr ernst. "Amerika sieht sich diese Woche einer historischen Krise ausgesetzt", sagt der republikanische Präsidentschaftskandidat. Das schmerzt den Senator, zumal er sich in diesem Moment auf die Unterlippe beißt.

John McCain: Weil die Finanzkrise tobt, will er eine Wahlkampfpause einlegen. (Foto: Foto: AP)

Dann verkündet der Vietnamveteran und Kriegsheld mit blassem Gesicht, wie er diesmal seinem Land zu dienen gedenkt - als Ritter nämlich, der über den Parteien steht: "Wir müssen uns als Amerikaner zusammensetzen, nicht als Demokraten oder Republikaner." Also werde er von sofort an seinen Wahlkampf einstellen, nach Washington eilen und dort so lange bleiben "bis die Krise gelöst ist".

So sieht er sich. Und, noch wichtiger, so sollen ihn alle anderen sehen: als Patrioten, nicht als Politiker. "Country First" lautet der Slogan von McCains Kampagne. Doch nur wenige Minuten, nachdem der Republikaner in der Nacht zum Donnerstag seinen überparteilichen Impuls offenbart hat, melden seine Kollegen im US-Kongress Zweifel an.

Zum Beispiel der Demokrat Chris Dodd, der im Senat die vertrackten Verhandlungen über den Notplan zur Rettung der Wall Street koordiniert und der prompt bedauert, "dass sich John McCain bei mir in den vergangenen Tagen nie über den Stand der Verhandlungen erkundigt hat". Oder Barney Frank, der führende demokratische Bankenexperte im Repräsentantenhaus, der Argwohn äußert über des Republikaners wahre Motive: "Wir versuchen, die Wirtschaft zu retten - nicht den Wahlkampf von McCain."

Den Verdacht, McCains große Geste sei nicht mehr als ein geschicktes Manöver eben jenes Wahlkampfs, den der Republikaner da angeblich aussetzt - genau diesen Verdacht hegt auch Barack Obama. Denn McCain stoppte ja nicht nur seine TV-Spots. Der alte Senator wollte auch ein Ereignis absagen, das Millionen Amerikaner sich seit Wochen in ihrem Terminkalender notiert hatten: Am Freitagabend sollten die beiden Aspiranten zum ersten von drei Duellen im Fernsehen antreten. Dieser Showdown schien nun gefährdet zu sein.

Obama will debattieren

Barack Obama will debattieren. Denn Amerikas Krise hilft ihm. In den Umfragen legten seine Werte zu, seit an der Wall Street die Kurse purzelten. Er möchte gegen McCain ins TV-Gefecht ziehen, um vor den Augen der Nation darüber zu streiten, wer verantwortlich ist "für diesen Schlamassel". Seine Berater unterstellen dem Ex-Soldaten McCain "Feigheit vor dem Feind". So weit geht Obama selbst nicht. Er belässt es bei der Stichelei, dass er sich fähig fühle, an einem Kompromiss zur Lösung der Finanzkrise mitzuwirken und zugleich über den künftigen Kurs des Landes zu streiten: "Ich denke, es wird Teil des Jobs eines Präsidenten sein, sich mit mehr als einer Sache zur gleichen Zeit zu beschäftigen."

Aber zunächst hatte McCain es geschafft, einen anderen Termin zu setzen.

Seine Idee, im Weißen Haus eine überparteiliche Krisenkonferenz anzusetzen, griff Parteifreund George W.Bush sofort auf. Auch Obama kam am Donnerstag zu diesem Treffen. Viel mehr als ein Appell, sich zum Wohle der Nation zu verständigen, kam bei diesem Gipfel nicht heraus. Mehr war aber auch kaum nötig. Die Arbeitsbienen im Kongress, die Dodds und Franks in den Hinterzimmern, hatten da schon die meisten Grundlinien eines sogleich als "historisch" verbrämten Kompromisses skizziert. McCain und Obama, die Gladiatoren, trafen erst am frühen Nachmittag in Washington ein. Zu spät, um noch große Knoten zu zerhauen.

Und doch mag es sein, dass McCain und Obama ihren Kollegen Beine gemacht haben. Experten beider Parteien hatten noch am Vormittag gewarnt, die Ankunft beider Promis könne das Klima auf dem Kapitol nur unnötig aufheizen. "Wir brauchen Führung und keinen Fototermin im Wahlkampf", wetterte Harry Reid, der Mehrheitsführer der Demokraten im Senat. Die Verhandlungsführer beider Parteien bemühten sich offenbar, in Kühle vorher fertig zu werden.

Wie fest das Kompromisspaket geschnürt ist, muss sich zeigen. Nach wie vor wettern am Donnerstag viele republikanische Fundis im Kongress, sie wollten ihren Wählern nicht 700 Milliarden Dollar aus den Taschen ziehen, um die Wall Street zu sanieren. Da dürfte auf John McCain also noch Überzeugungsarbeit zukommen. Und dieser Dienst am Vaterland könnte ihm als Alibi genügen, um den Einsatz an der Debattenfront zu verweigern: Ob er in der Nacht zum Samstag nun doch zum TV-Duell mit Obama antritt, dazu schweigt sich der Senator vorerst aus.

© SZ vom 26.09.2008/mel/aho - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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