Maut-Affäre:Ohne Reue ins Debakel

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Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vor der Befragung als Zeuge im Maut-Untersuchungsausschuss des Bundestags. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Trotz Warnungen hat Horst Seehofer als CSU-Chef die später gescheiterte Maut in den Koalitionsvertrag gedrückt. Heute sagt er: "Ich würde es wieder tun."

Von Markus Balser, Berlin

Dass aus der Idee mit der Maut mal eine handfeste Affäre werden könnte - im Frühjahr 2013 hätte das wohl keiner derer gedacht, die an jenem folgenreichen Treffen in bayerischer Idylle teilnahmen. Die CSU-Spitze um den damaligen Parteichef Horst Seehofer und seinen Generalsekretär Alexander Dobrindt fand sich damals im oberbayerischen Murnau in einem Hotel mit Alpenblick ein. Es herrschte Krisenstimmung: Die Umfragewerte vor der Landtags- und Bundestagswahl im Herbst waren schlecht, die absolute Mehrheit in Bayern schien in Gefahr. Es musste etwas her, das die Wende brachte. Die illustre Runde holte ein Thema auf der Versenkung, das Partei und Wähler wieder versöhnen sollte: die "Ausländer-Maut".

Sieben Jahre später hat der einstige CSU-Hoffnungsträger Maut eine erstaunliche Karriere hinter sich. Seehofer hatte die Straßenbenutzungsabgabe damals gegen alle Widerstände durchgedrückt. Sie landete noch im gleichen Jahr im Koalitionsvertrag, sie wurde Gesetz. Doch seit der Europäische Gerichtshof das CSU-Prestigeprojekt im vergangenen Jahr kippte, droht es für deutsche Steuerzahler zum Fiasko zu werden. Die Maut, die dem Fiskus eigentlich Milliarden bringen sollte, könnte ihn viele hundert Millionen Euro Schadenersatz kosten.

Der Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Pkw-Maut hatte deshalb am Donnerstag Seehofer in den Zeugenstand zitiert. Im Anhörungssaal 3.101 im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus schüttete sich der Minister eine Apfelschorle ins Glas und begann, zu erzählen. Er sei zwar immer Anhänger der Maut gewesen, sagte er. Umgesetzt aber hätten sie die CSU-Verkehrsminister Dobrindt und Andreas Scheuer. Und zwar "in eigener Verantwortung". Das ist Seehofer offenkundig wichtig.

Früher oder später werde es überall in Europa eine Maut geben, sagt der Innenminister

Doch dass am Scheitern der Maut auch der heutige Innenminister seinen Anteil hatte, hatte vor dem Untersuchungsausschuss schon Mitte Februar der frühere Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) deutlich gemacht. Er wies Seehofer sogar eine sehr zentrale Rolle zu. Seehofer und Merkel hätten bereits bei den Koalitionsverhandlungen 2013 "sehenden Auges" Vorgaben zur Maut unterzeichnet, die mit Europarecht absehbar nicht vereinbar gewesen seien, sagte Ramsauer damals. Denn die große Koalition wollte allein Ausländer belasten. Dabei seien sie vor dem großen Risiko einer einseitigen Benachteiligung gewarnt worden, sagte Ramsauer. Dem CSU-Chef sagte der Ex-Verkehrsminister nach eigener Erinnerung: "Horst, so geht das wahrscheinlich doch gar nicht."

Klar wurde am Donnerstag im Sitzungssaal, wie in Deutschland Politik funktioniert. Zwar bestreitet Seehofer die Warnungen des eigenen Ministers nicht. Er erklärt aber, warum er trotzdem an der Maut festhielt. Er habe ja schließlich damals ein Wahlversprechen abgegeben, dass keine deutschen Fahrzeughalter zusätzlich belastet werden sollten. "Die Zweifel haben dazu geführt, dass wir das, was wir in zwei Wahlkämpfen gesagt haben, nicht hätten tun können. Das schied für mich aus", sagte Seehofer. Darum drückte er die Maut nach eigenem Bekunden in Verhandlungen mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem damaligen SPD-Parteichef Sigmar Gabriel durch. Er habe im kleinen Kreis erklärt, "ich unterschreibe keinen Koalitionsvertrag ohne die Maut", sagt Seehofer, "und wir haben sie vereinbart." Auf die Frage, ob er bei der Maut alles richtig gemacht habe, hat Seehofer eine kurze Antwort: "Absolut. Ich würde es wieder tun."

Die Opposition sieht das ganz anders. Sie macht Seehofer nach seinem Auftritt für das Scheitern der Maut vor Gericht verantwortlich. "Seehofer und Merkel haben in den Verhandlungen zum Koalitionsvertrag 2013 die Pkw-Maut bewusst zum Scheitern verdammt, obwohl sie vom damaligen Verkehrsminister Ramsauer gewarnt wurden", sagte der FDP-Verkehrspolitiker Oliver Luksic. Seehofer habe alle Bedenken zur Unvereinbarkeit mit EU-Recht in den Wind geschlagen, klagt auch der Grünen-Verkehrspolitiker Stephan Kühn.

Im Zentrum des Untersuchungsausschusses des Bundestags zur geplatzten Pkw-Maut steht, dass das Verkehrsministerium unter Minister Scheuer noch Ende 2018 milliardenschwere Verträge zur Erhebung und Kontrolle der Maut geschlossen hatte - lange bevor endgültige Rechtssicherheit bestand, ob die Maut wirklich umgesetzt werden darf. Die Betreiber klagen wegen der nach dem EuGH-Urteil erfolgten Kündigung durch Scheuer hohe Schadenersatzforderungen ein. Der Untersuchungssausschuss arbeitet derzeit enorme Aktenmengen auf. Dem Gremium liegen 21 300 Aktenordner mit 780 000 Seiten vor. Die Untersuchung des Fiaskos läuft voraussichtlich bis Jahresende.

Die Idee der Maut sieht Seehofer trotz des spektakulären Scheiterns noch nicht am Ende: "Sie werden sehen: Früher oder später werden wir überall in Europa eine Maut bekommen."

© SZ vom 29.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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