"Massives Gewitter":Besserwisser vs. Prinzipienreiter

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Bei der Winterklausur in Wildbad Kreuth im vergangenen Jahr war Thomas de Maizière noch als Gast der CSU geladen. Inzwischen sind CSU-Chef Horst Seehofer und der Bundesinnenminister heillos zerstritten. (Foto: Tobias Hase/dpa)

Der Konflikt zwischen Seehofer und de Maizière eskaliert. Der CSU-Chef fühlt sich auch beim Ausdünnen der Grenzkontrollen vom Innenminister übergangen.

Von Stefan Braun und Robert Roßmann, Berlin

Eigentlich hätte das eine gute Nachricht werden können. Eine gute für die Bundesregierung, eine gute für den bayerischen Ministerpräsidenten und eine gute für die Pendler, Bürgermeister, Geschäftsleute im Süden des Freistaats. Als vor wenigen Tagen bekannt wurde, dass die Zahl der Beamten für die Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze deutlich reduziert wird, hätte sich das als Botschaft geeignet, um allen zu erklären, dass die große Flüchtlingskrise eine Verschnaufpause eingelegt hat. Die Zahl der Flüchtlinge geht massiv zurück, also kann auch die Zahl der Grenzbeamten und -Kontrollen sinken. Was im Herbst viele als historisches Problem erlebt haben, schrumpft fürs erste zur normalen Baustelle. Angela Merkel, Horst Seehofer, Thomas de Maizière - alle hätten sagen können, dass das Gröbste erst mal vorbei sei.

Hätte, könnte, wäre - es hat nicht sollen sein. Statt "Entspannung!" zu rufen, streiten der bayerische Ministerpräsident und der Bundesinnenminister über die Botschaft, als gehörten sie zu verfeindeten Kriegsparteien. Aus Bayerns Staatsregierung sind mittlerweile schärfste Töne zu hören. Der Minister mache "Politik gegen Bayern" und drohe bei der inneren Sicherheit den "Markenkern der Union" zu verspielen. "Da hilft es mir nichts mehr, wenn gesagt wird: Er hat es nicht so gemeint", schimpft Seehofer.

Im Berliner Innenministerium wächst derweil vor allem eines: der Trotz. Öffentliche Zitate des Ministers gibt es dazu zwar nicht. Gleichwohl ist aus dem Haus der seit Wochen wachsende Wunsch zu vernehmen, die Bayern sollten endlich mal Ruhe geben. Dahinter steht die bei de Maizière offenbar tief verankerte Überzeugung, dass ein Innenminister nun mal machen und entscheiden kann, was in seiner Kompetenz liegt, ohne dass er davor jeden Beschluss mit Koalitionspartnern abstimmen müsste. Hinzu kommt, dass Seehofers Dauerattacken gegen die Berliner Flüchtlingspolitik nicht nur bei de Maizière als Versuch gewertet werden, am Ende doch irgendwie recht zu behalten. In der Regierung heißt es, man sei Seehofer bei der Verschärfung des Asylrechts weit entgegengekommen. Umso ärgerlicher sei es, dass der Bayer keine Ruhe gebe und immer noch alles besser zu wissen glaube.

"Es wird Zeit, dass die mit dem Mist aufhören", klagt ein SPD-Minister

Inzwischen wächst bis hinein ins Kanzleramt das Gefühl, dass der Streit zwischen "dem Besserwisser und dem Prinzipienreiter", also zwischen Seehofer und de Maizière zum Problem wird. Was in ruhigeren Zeiten vielleicht nur belächelt würde, kann in angespannten Zeiten gewaltige Folgen haben. So sieht es auch mancher im Kabinett von Angela Merkel. "Konflikte wie diese vergiften das Erscheinungsbild einer ganzen Regierung", beklagt ein führender SPD-Minister.

Es werde Zeit, "dass die mit dem Mist aufhören." Mist ist dabei keine schlechte Vokabel. Die Ursache für den neuesten Ausbruch des Streits könnte glatt als Banalität durchgehen, wäre die Lage nicht derart vergiftet. Der Bundesinnenminister hatte entschieden, die Zahl der Beamten an der Grenze zu reduzieren. Doch obwohl er wissen musste, dass dieses Thema für die Bayern von größtem Gewicht ist, gab es keine direkte Mitteilung an Seehofer. Statt dessen sickerte die Entscheidung eher nebenbei durch und erreichte das bayerische Kabinett durch die zuständigen Polizeien.

Aus Sicht der Bayern wiederholte de Maizière damit genau das, was Anfang April schon einmal zu einem heftigen Streit geführt hatte. Damals hatte der Minister in einem Interview mit dem österreichischen Rundfunk gesagt, er werde die Grenzkontrollen auslaufen lassen, sollte die Zahl der Flüchtlinge so gering bleiben. Bayerns Staatsregierung erfuhr von dieser Ankündigung nicht aus Berlin, sondern aus den Medien. Diejenigen, die seit Monaten von der Kanzlerin erfolglos eine Obergrenze und einen Kurswechsel einfordern, erlebten das Vorgehen de Maizières als erneuten Beleg dafür, dass Berlin sich wenig um andere kümmert, wenn es seinen Kurs festlegt. Um zu schlichten, versprach Merkel anschließend, es werde keine Beschlüsse ohne Rücksprache mehr geben. Dass das dann trotzdem wieder geschah, treibt den Bayern den Zorn in die Augen. Als de Maizière in der jüngsten Sitzung des Koalitionsausschusses auch noch einen unabgesprochenen Vorschlag zugunsten der SPD präsentierte, eskalierte der Streit mit Seehofer endgültig. "Da gab es ein massives Gewitter", sagt der CSU-Chef heute. Er will auf de Maizière keine Rücksicht mehr nehmen. Seine Partei habe den Minister "lange geschützt", wenn es schwierig wurde. Das werde es nicht länger geben.

In der Koalition fragen sich mittlerweile viele, wie der Konflikt derart außer Kontrolle geraten konnte. Dabei sagen Mitstreiter wie Gegner des Bundesinnenministers, dass er formal zwar oft recht habe, aber die politischen Folgen seines Tuns immer wieder ignoriere. Heftigste Konflikte seien die Folge - mal mit der SPD, als de Maizière ohne klare Ansage zur umfassenden Einzelfallprüfung für syrische Flüchtlinge zurückkehrte; dann wieder mit der CSU, weil er auf eine direkte Abstimmung verzichtet.

Inzwischen heißt es, schon bald würden auf Arbeitsebene regelmäßige Abstimmungen beginnen. Um diesen Konflikt zu befrieden, wird das kaum reichen.

© SZ vom 22.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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