Luftangriff in Afghanistan:Wut statt Antworten

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Die Bundeswehr verbittet sich Kritik an Oberst Klein - warum er in Kundus Tanklaster bombardieren ließ, kann das Ministerium aber nicht erklären.

Peter Blechschmidt

Die Verteidiger sind in der Defensive. Es sei ja alles so geheim und deshalb tue man sich so schwer, die eigene Position plausibel darzustellen. So ähnlich lauteten am Donnerstag im Verteidigungsministerium und bei der Bundeswehr die Antworten auf die vielen Fragen, die sich nach wie vor um den Bombenangriff auf zwei von den Taliban entführte Tanklaster vor einer Woche in Kundus ranken. Nur in einem Punkt sind die Aussagen glasklar: Man ist sauer auf die Leute bei der Nato, die aus ihrer Einschätzung kein Hehl machen, dass der deutsche Oberst Georg Klein, der den Bombenabwurf angeordnet hat, einen Fehler gemacht habe.

Das Verteidigungsministerium in Berlin verwies am Donnerstag erneut darauf, dass der Bericht eines ersten Untersuchungsteams (Initial Action Team, IAT), auf den sich die Einschätzung bei der Nato stützt, "vorläufig und nicht konsolidiert" sei. Andererseits ist das Ministerium bisher jede schlüssige Antwort auf die Frage schuldig geblieben, warum Oberst Klein die Bombardierung angeordnet hat, bei der mindestens 56, nach anderen Berichten mehr als 100 Menschen getötet wurden. Nach Darstellung der Bundeswehr hatte Klein verhindern wollen, dass die entführten Tanklaster als rollende Bombe gegen das nur sechs Kilometer entfernte Bundeswehrlager in Kundus eingesetzt würden.

Dagegen wird in dem geheimgestempelten Bericht des IAT darauf verwiesen, dass die Tanklaster auf einer Sandbank im Fluss Kundus festsaßen. Es habe also keine unmittelbare Bedrohung bestanden. Auch sei der Befehl Kleins, die Tanklaster zu bombardieren, mit dem Hauptquartier der Internationalen Schutztruppe Isaf in Kabul nicht abgestimmt gewesen. Dies hätte aber geschehen müssen, da der Einsatz der beiden amerikanischen F-15-Kampfflugzeuge kein klassischer Fall von Luftnahunterstützung (Close Air Support) gewesen sei.

Die Frage, ob der Bombenangriff verhältnismäßig war und ob dabei die Einsatzregeln eingehalten wurden, dürfte im Zentrum der jetzt anlaufenden offiziellen Untersuchung stehen. Close Air Support soll Bodentruppen helfen, die in akute Gefechte verwickelt sind. Ein militärischer Führer, der mit seiner Einheit beispielsweise in einen Hinterhalt gerät, kann diese Luftunterstützung anfordern. Dafür sind über Afghanistan ständig Kampfflugzeuge in der Luft, die binnen maximal 20 Minuten zu Hilfe kommen sollen.

Koordiniert werden diese Einsätze von einer Zentrale im Isaf-Hauptquartier in Kabul. Von dort erhalten bei unmittelbarer Gefahr die Flugzeuge ihren Einsatzbefehl. Die Piloten müssen sich, bevor sie ihre Bordkanone betätigen oder eine Bombe ausklinken, noch einmal bei dem Befehlshabenden vor Ort vergewissern, dass der Angriff tatsächlich ausgeführt werden soll. Dass die zentrale Koordinierungsstelle im Isaf-Hauptquartier sitzt, bedeutet nicht, dass das Isaf-Oberkommando vorab von jedem Einsatz erfährt.

Im Fall der Tanklaster, so viel dürfte feststehen, waren keine Bodentruppen in ein Gefecht verwickelt. Deshalb gewinnt die Frage der unmittelbaren Bedrohung entscheidende Bedeutung. Während Oberst Klein diese Gefahr offenbar gesehen hat und sich möglicherweise deshalb zum Abwurfbefehl autorisiert sah, verweisen die Isaf-Ermittler darauf, dass die Tanklaster und ihre Entführer schon seit zweieinhalb Stunden unter Beobachtung waren, bevor die Bomben fielen. Es wäre somit Zeit genug gewesen, sich mit dem Isaf-Hauptquartier abzustimmen.

Widersprüchlich sind auch die Auskünfte zu der Frage, warum Klein keine Bodentruppen entsandt hat, um die Entführer der Tanklaster zu fassen oder zu vertreiben. Ministeriumssprecher Thomas Raabe hat eingeräumt, dass "bestimmte Fähigkeiten", zum Beispiel Schützenpanzer Marder, nicht zur Verfügung gestanden hätten.

Dennoch wäre ein Einsatz von Bodentruppen nicht ausgeschlossen gewesen. In Offizierskreisen ist zu hören, dass die Bundeswehrkräfte in der Anti-Taliban-Operation Aragon gebunden gewesen seien, die in einem Raum 60 Kilometer nordöstlich von Kundus im Gange ist. Erst in der Nacht zum Donnerstag sind dort wieder Bundeswehr-Soldaten unter Beschuss geraten. Nach Angaben der Bundeswehr wurde keiner von ihnen verwundet.

Der Bericht des IAT lag dem Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, nach Informationen der Süddeutschen Zeitung am Montagabend vor. Die politische Leitung des Ministeriums kennt ihn im Wortlaut erst seit Mittwoch. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich am Dienstag im Bundestag noch vehement gegen Vorverurteilungen "von wem auch immer" verwahrt hatte, kannte das Papier auch nicht. An diesem Freitag will Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) die Obleute des Verteidigungsausschusses über den Bericht informieren.

Unter den Soldaten werden die Vorgänge mit zum Teil hohen Emotionen diskutiert. Bei den Einsatzkräften in Afghanistan ist der Vorwurf an die Politik zu hören, sie habe die Menschen in Deutschland nicht deutlich genug über die wahre Situation in Afghanistan aufgeklärt. Dazu gehöre das Eingeständnis, dass die Taliban massiv bekämpft werden müssten und dass es dabei Opfer unter Soldaten, aber auch unter Zivilisten geben könne.

Kritik wird aber auch an dem amerikanischen Isaf-Kommandeur Stanley McChrystal wegen dessen öffentlicher Kritik an Klein geübt. Klein stehe auf dem undankbarsten Posten, den die Bundeswehr in Afghanistan zu besetzen habe, heißt es. Auch wird darauf verwiesen, dass in Kleins Zeit als Kommandeur in Kundus schon vier seiner Soldaten gefallen sind. Dies dürfte ihn darin bestärkt haben, alles Erdenkliche zum Schutz seiner Soldaten zu tun.

© SZ vom 11.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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