Lohnerhöhung:"Von alleine rücken die keinen Cent heraus"

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Pünktlich zu den Maikundgebungen bejubeln die Gewerkschaften ihre Verhandlungsstärke: In der Tat kann Verdi mit dem Tarifabschluss im öffentlichen Dienst zufrieden sein.

Von Detlef Esslinger, München

Frank Bsirske hatte am Sonntag die Möglichkeit, sich einmal mit ganz anderen Themen zu befassen, der Oberschichtenkriminalität zum Beispiel. Bsirske sprach auf der Maikundgebung in Krefeld, und als Verdi-Vorsitzender hat man ja ein Gefühl, ob man für den soeben ausgehandelten Tarifabschluss noch einmal vor den eigenen Leuten werben muss - oder ob das Thema sozusagen durch ist. Bsirske sprach in Krefeld über Steuerhinterziehung. "Die Oberschichtenkriminalität ist mitverantwortlich für durchlöcherte Straßen, gesperrte Brücken und fehlende Kita-Plätze", sagte er. Außerdem widmete er sich der Rente und dem Kampf gegen Fremdenhass. Anders gesagt: Was Bsirske am Freitag mit Bund und Kommunen vereinbarte, regte niemanden auf.

Was ja bei Verdi alles andere als selbstverständlich ist. Noch wenn er schon zwanzig Jahre im Ruhestand sein wird, dürfte Bsirske sich an jene Nacht im April des Jahres 2012 erinnern, als er sich mit den Arbeitgebern um 23 Uhr einig war, mit den eigenen Funktionären allerdings erst um sechs Uhr früh. Diesmal lief es, gemessen auch an anderen Gewerkschaften und Tarifspektakeln, mehr als zügig. Schon kurz vor 17 Uhr am Freitag waren Bsirske, Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und der Vertreter der Kommunen, Thomas Böhle (SPD), sich einig. Anschließend musste Bsirske zwar immerhin noch fünf Stunden mit seiner Tarifkommission verbringen. Dem Vernehmen nach hatten sie jedoch diesmal nur tausend Fragen zu den Details - aber nichts Grundsätzliches. Dem Vernehmen nach sahen es auch alle so voraus, dass es trotz der massiven Warnstreiks relativ glatt laufen würde. "Man hat ja ein Gefühl", sagt einer der Beteiligten.

Die Gehälter für die 2,1 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst werden in zwei Stufen um insgesamt 4,75 Prozent erhöht: um 2,4 Prozent rückwirkend zum 1. März, um weitere 2,35 Prozent im Februar nächsten Jahres. Azubis erhalten zu denselben Terminen zunächst 35 und sodann 30 Euro mehr. Über den Gesundheitsschutz bei den Flughafenfeuerwehren soll gesondert verhandelt werden; unter anderem mit einer Forderung dazu hatte Verdi vergangene Woche den Streik an den Flughäfen begründet. Innenminister de Maizière kündigte an, das Ergebnis auf die Beamten des Bundes zu übertragen. Das Ergebnis liegt um 0,35 Prozentpunkte höher als das Ergebnis bei den Ländern vom vergangenen Jahr. Darin kommt zum Ausdruck, dass die Kommunen mit Einrichtungen wie Kitas, Flughäfen und Müllabfuhr leichter zu bestreiken sind als die Länder mit ihrem Verwaltungspersonal. Deswegen können die Gewerkschaften bei den Kommunen immer etwas höhere Forderungen durchsetzen als bei den Ländern.

Die Einigung über die Lohnerhöhung war erst möglich, nachdem sich beide Seiten über die Zukunft der Betriebsrente verständigt hatten. Wegen niedriger Zinsen und steigender Lebenserwartung sind vor allem diejenigen kommunalen Rentenkassen in Schwierigkeiten, die erst spät begonnen haben, Beiträge auf dem Kapitalmarkt anzulegen. Bei ihnen werden die Beiträge erhöht - Arbeitnehmer und Arbeitgeber teilen sich die Belastung und steuern jeweils 0,4 Prozent eines Monatsgehalts bei.

Beschlossen wurde auch eine neue Entgeltordnung für die Kommunen, also die Festlegung, mit welcher Tätigkeit und Qualifikation man in welche Entgeltgruppe kommt. Auch dadurch steigen Gehälter - wofür die Arbeitgeber jedoch Kompensation erhalten. Das Weihnachtsgeld für die Mitarbeiter der Kommunen wird zunächst auf dem Stand von 2015 eingefroren und im nächsten Jahr um vier Prozentpunkte gesenkt. Erst 2019 ist wieder eine Erhöhung möglich, aber nur auf der Basis des gekürzten Betrags.

"Es sind starke Gewerkschaften, die Entgelterhöhungen durchsetzen." Das waren am Sonntag nicht die Worte von Verdi-Chef Bsirske, sondern die des IG-BCE-Kollegen Michael Vassiliadis auf der Kundgebung in Frankfurt. Er hat seine Tarifrunde in der Chemie-Industrie noch vor sich, sie beginnt Ende Mai. Vassiliadis fordert fünf Prozent. "Gute Tarifverträge gibt es nicht umsonst", sagte er, "von alleine rücken die Arbeitgeber keinen Cent heraus." Die Maikundgebungen hatten nach Angaben des DGB 390 000 Teilnehmer.

© SZ vom 02.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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