Linkspartei stellt Wahlprogramm vor:Linker geht's nicht

Lesezeit: 3 min

Mehrere hundert Millarden Euro, zwei Millionen Jobs: Die Linke überbietet sich selbst und präsentiert ein Programm, an dem selbst die Kommunisten nichts auszusetzen haben werden.

Thorsten Denkler, Berlin

Vierter Stock im "Radialsystem V", einem ehemaligen Pumpwerk an der Spree, heute ein Veranstaltungshaus. Die Wände grau, die Decke grau, die Vorhänge grau. Sinnbild des Zustands der Republik, wenn man so will.

Oskar Lafontaine und Gregor Gysi: Das Wahlprogramm der Linken sieht zwei Millionen neue Jobs vor - und Ausgaben in Höhe von mehreren hundert Milliarden Euro. (Foto: Foto: ddp)

Hier stellt die Linke ihren Entwurf für ein Wahlprogramm vor. Ende Juni soll es der Bundesparteitag beschließen und dann vor allem eine Farbe ins graue Deutschland bringen. In einer Ecke des grauen Raumes leuchtet sie auch schon: das sozialistische Rot.

Vor der Stellwand mit dem Logo der Linkspartei marschiert nahezu vollständig der Parteivorstand auf, davor bauen sich die beiden Platzhirsche der Linken auf: Oskar Lafontaine und Gregor Gysi. Das soll wohl eine Geschlossenheit demonstrieren, die es bis gestern Morgen so noch nicht gab.

Von elf bis 19 Uhr haben Lafontaine und Gysi am Sonntag mit dem Parteivorstand um Formulierungen, Wörter und Zahlen gestritten. Jetzt steht der Entwurf. Er ist linker als alles, was die Partei bisher vorgestellt hat. Manche sagen, die Hardliner hätten sich durchgesetzt, die Realisten verloren.

Von der "Wut" der Menschen ist in dem Entwurf zu lesen, von "herrschenden Verhältnissen", von der "Erpressung der Beschäftigten". Die Linke hat verbal aufgerüstet für den anstehenden Bundestagswahlkampf.

Partei- und Fraktionschef Lafontaine und Ko-Fraktionschef Gysi jonglieren mit den Milliarden, als wäre es Spielgeld: 100 Milliarden Euro jährlich für öffentliche Investitionen, weitere 100 Milliarden für einen Zukunftsfonds, aus dem Unternehmen mit guten Ideen mit billigen Krediten unterstützt werden sollen. Hartz IV rauf auf 500 Euro, Mindestlohn zehn Euro.

Zwei Millionen Jobs sollen so entstehen. "500 Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Sektor", verspricht sich Gysi. Unruhe im versammelten Parteivorstand. 500? Wirklich? Lafontaine beugt sich zu Gysi und flüstert "500.000". Ja, natürlich 500.000 Jobs. Drunter geht es nicht.

Im Gegenzug: Steuersenkungen für untere Einkommen, Spitzensteuersatz rauf auf 53 Prozent, zahlbar ab 84.000 Euro Jahreseinkommen. Dazu eine Vermögensteuer, von Lafontaine "Millionärssteuer" genannt. Privatvermögen ab einer Million Euro wird mit fünf Prozent jährlich belastet.

Kein Wunder, dass die an Realpolitik gewöhnten Regierungslinken aus Berlin da aufstöhnen. "Gerade einmal zwei Prozent der Bundesbürger finden die Finanz- und Wirtschaftpolitik der Linken in Umfragen überzeugend", empört sich Carl Wechselberg, frisch zurückgetretener Finanzsprecher der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus. In einem Gastbeitrag für die Online-Ausgabe des Spiegel ätzt er, für ihn sei das "die logische Konsequenz einer gescheiterten Parteientwicklung".

Im Westen hätten sich " alle Linkssektierer, die der Westen aufzubieten hatte," auf den Weg gemacht, die Linke als ihre Plattform zu betrachten. Lafontaine habe das noch befördert, holzt Wechselberg. Er frage sich, "wo eigentlich der SPD-Politiker Lafontaine verblieben ist, der einst echte Regierungsverantwortung als Ministerpräsident trug". Die politische Ausrichtung, die Lafontaine und die West-Akteure der neuen Linken verordnet hätten, sei "fundamental oppositionell".

"Der Krieg ist für uns ja oder nein"

Die Linke will in die Opposition. So deutlich sagt das zwar niemand an diesem Mittag im ehemaligen Pumpwerk. Lafontaine belässt es bei einem vorsichtigen: "Wir wollen Politik verändern". Dafür wäre fast alles verhandelbar in theoretisch denkbaren Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl. Die Höhe des Mindestlohns, die Höhe der Vermögensteuer, alles nur "ein Angebot", sagt Lafontaine.

Nur in einem Punkt wollen Lafontaine und Gysi nicht nachgeben: die Auslandseinsätze der Bundeswehr. "Das können wir niemals machen", sagt Lafontaine. "Der Krieg ist für uns ja oder nein." Ohne sofortigen Truppenabzug aus Afghanistan und Beendigung aller anderen Auslandsmandate der Bundeswehr keine Regierungsperspektive mit den Linken.

Wer also die Linke wählt, wählt Opposition. Im Gegensatz zu den Grünen versucht sie das aber nicht mal zu kaschieren.

Auf dem Bundesparteitag der Linken Ende Juni in Berlin wird das Programm den Delegierten zur Begutachtung übergeben. Lafontaine kann sich nicht vorstellen, dass es dort - abgesehen von Details - noch große Veränderungen geben wird: "Die großen Blöcke sind abgegriffen."

Selbst die Sprecherin der Kommunistischen Plattform der Linken, Sahra Wagenknecht, "kann mit dem Programmentwurf leben". Es wird zwar gemunkelt, sie habe sich bei der sonntäglichen Abstimmung im Parteivorstand der Stimme enthalten. Eigene Änderungsanträge zu elementaren Bestandteilen des Programms aber seien von ihr nicht zu erwarten. Das Programm ist offenbar derart links, das auch den Linken unter den Linken nichts Linkeres mehr einfällt.

© sueddeutsche.de/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: