Linken-Parteitag in Berlin:Gysi macht den Lafontaine

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Ohne die Partei seid ihr nichts: Fraktionschef Gysi erklärt seinen Genossen wie Politik funktioniert und übernimmt so die Aufgabe, die eigentlich Linken-Chef Lafontaine hätte erledigen müssen.

Thorsten Denkler, Berlin

Gregor Gysi zieht seine Krawatte stramm, lächelt und winkt mit beiden Armen. Vor ihm stehen über 500 Delegierte des Wahlparteitages der Linken in der Berliner Max-Schmeling-Halle, die klatschen und jubeln. In der Max-Schmeling-Halle treten sonst die Superstars der internationalen Pop-Charts auf. An diesem Abend darf sich Gysi als der Superstar der Linken fühlen.

Was fürs Herz: Gysi reißt die Genossen auf dem Parteitag in Berlin mit. (Foto: Foto: AP)

Der Fraktionschef der Linken im Bundestag hat die Rede gehalten, die eigentlich der Parteivorsitzende Oskar Lafontaine hätte halten müssen. Lafontaine aber hatte einen eher langatmigen Vortrag über die Weltfinanzen gehalten und vergessen, dass es sein Aufgabe als Parteichef ist, die Partei zusammenzuführen. Seine Rede war mehr etwas für den Kopf, als für das Herz. Dieser Parteitag aber hätte mehr Herz nötig gehabt.

Die Linken verheddern sich seit geraumer Zeit in Flügerkämpfen. Da war der Europaparteitag in Essen, auf dem sämtliche Europaskeptiker auf die Liste gewählt wurden, Pro-Europäer aber einem Putsch gleich hinausgekegelt wurden. Drei Austritte prominenter Mitglieder haben im Nachgang die Partei verunsichert. Als sei das nicht genug, attackieren sich im Vorfeld des Parteitages die Flügel mit Papieren, in denen sie dem jeweils anderen vorwerfen nicht links genug oder zu weit links zu sein.

Gregor Gysi verwendet einen Großteil seiner Rede darauf, hier Ruhe hineinzubringen. Einer Lehrstunde gleich doziert er über politische Umgangsformen, als hätte er Studenten des Fachs politische Wissenschaften vor sich.

In der Partei gebe es Strömung eins bis vier oder fünf. Donnernden Applaus bekommt er schon für die Feststellung, dass es viele gebe, die keiner Strömung angehörten. Linke und Pragmatiker dürften das nicht überhört haben.

Gysi doziert lächelnd weiter: "Wenn ich Mitglied der Gruppe eins wäre, dann wäre ich überzeugt das Gruppe drei und vier unrecht haben." Mit Gruppe zwei würde er dann ein Zweckbündnis gegen drei und vier eingehen. Wobei Gruppe zwei Gefahr laufe, in der nächsten Runde von den anderen ausgespielt zu werden. Viel Delegierte nicken da beträchtlich mit dem Kopf.

Dieser heitere Einstieg aber sollte nur der Auftakt zu einer mächtigen Abstrafung des Fraktionschefs für die streitenden Flügel werden. "Der Reiz unserer Partei liegt in unsere Pluralität", ruft er. "Jeder, der sie gefährdet, gibt die Partei auf." Hier jubeln die ersten, denen die Flügeleitelkeiten offenbar auch gehörig auf den Nerv gehen.

Den Flügelkämpfern aber gibt Gysi noch mehr mit auf den Weg. Sie sollten sich vor Augen führen: "Gäbe es nur sie und alle anderen nicht in unserer Partei, wären sie gesellschaftspolitisch völlig irrelevant".

"Völlig irrelevant!"

Gysi bekommt an dieser Stelle einen hochroten Kopf und wiederholt noch einmal, damit es auch die Letzten verstehen: "Völlig irrelevant!" Will sagen: Ohne die Partei seid ihr nichts. Deutlicher geht es nicht.

Auch den Parteitag in Essen, auf dem sich die Europaskeptiker auf breiter Front durchsetzten, ließ Gysi nicht außen vor. Weder der einstige Vordenker der Linken, André Brie, noch die Europa-Spitzenkandidatin von 2004, Sylvia-Yvonne Kaufmann, wurden wieder ins Europaparlament geschickt.

Gysi gibt selbstkritisch zu Protokoll, Essen sei gekennzeichnet gewesen "durch unerfreuliche Personalschlachten", und rät der Partei in solchen Momenten "einfach kulturvoller" zu werden. Es habe da "Ideologieschlachten" gegeben, die nur knapp gewonnen oder verloren worden seien. Einige hätten sich danach "gedemütigt" gefühlt - mit der Folge, dass die Hälfte der Parteitages kaum motiviert für den Wahlkampf gewesen sei. "Die Leute hatten den Eindruck, wir beschäftigen uns nicht mit ihnen", stellt er fest.

"Redet miteinander"

Gysi nimmt in seltener Offenheit auch Stellung zu den Parteiaustritten, auf die Lafontaine meist allergisch reagiert, wenn er darauf angesprochen wird. "Das tut weh", sagt Gysi. "Da ist Häme völlig fehl am Platz." Es wären einige dabei gewesen, die die PDS stark gemacht hätten. "Und hätte die PDS nicht die Stärke gehabt, wäre Oskar Lafontaine nicht zu uns gekommen."

Einen Rat gibt er seinen Genossen noch mit auf dem Weg, bevor er seine Rede mit Wahlkampfrhetorik beendet: Redet miteinander. Er etwa habe die Landesvorstände Ost "genötigt", mit Landesvorständen West Kontakt aufzunehmen. Und zwar mit denen, die sie nicht besonders mögen. Zweimal im Jahr sollen die jetzt miteinander ins Gespräch kommen, damit sie lernen nicht übereinander, sondern miteinander zu reden.

An diesem Abend scheint Gysis Appell gefruchtet zu haben. Diszipliniert haben die Delegierten den ersten Teil des Wahlprogramms verabschiedet, in dem es um Demokratie und Frieden ging. Die eigentlichen Knackpunkte aber werden erst an diesem Sonntag aufgerufen: Mindestlohn und Hartz IV. Gysis Rede wird dann schon wieder viele Stunden her sein. Viel Zeit für Gruppe eins, sich zu überlegen, wie sie Gruppe drei und vier am besten aufs Kreuz legen kann.

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