Libanon:Eine Spur führt zum Blutbad

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Die Familien der "Kofferbomber" bestreiten jede Verbindung zu Extremisten, doch nun ist im Libanon der Bruder eines Angeklagten im Kampf gefallen.

Tomas Avenarius

Ginge es nach dem, was hier zu hören ist, müsste man die Jungen sofort freilassen. "Nie im Leben würde mein Sohn Yussuf Bomben legen", schimpft Mohammed Ali Ibrahim al-Hadsch Dib. "Das alles ist die Schuld dieses anderen Kerls." Ach was, "regelrecht verführt" worden sei sein Sohn Dschihad, sagt Schahid Hamad. "Dieser Jussuf hat Gehirnwäsche gemacht mit ihm." Zwei Väter, zwei Meinungen. Und ein ziemlich trübes Bild.

Seit fast acht Monaten sitzen die beiden jungen Libanesen in Haft, die als "Kofferbomber von Köln" bekannt wurden. Der eine in Berlin, der andere in Beirut. Noch ist nicht klar, welcher der beiden der Drahtzieher war. Und unklar ist ebenso, ob es sich um einen vom Terrornetzwerk al-Qaida beförderten Anschlagsversuch gehandelt hat oder nur um die schlampig vorbereitete Tat zweier aufgeregter Muslime, die sich über die Mohammed-Karikaturen in Europas Zeitungen erbosten. Vor allem aber ist noch unbekannt, ob Jussuf al-Hadsch Dib und Dschihad Hamad schon als gewaltbereite Islamisten nach Deutschland kamen oder ob sie sich während ihres Studiums gegenseitig radikalisierten.

Die Studenten hatten versucht, am 31. Juli 2006 zwei Bundesbahn-Züge in die Luft zu sprengen. Mit Kofferbomben, zusammengebaut aus Propangasflaschen, Brandbeschleuniger und Elekroweckern. Es war nur Zufall, dass die Sprengsätze nicht explodierten, die sie am Kölner Hauptbahnhof in den Waggons zweier Regionalzüge abstellten: Die angehenden Ingenieure hatten die falschen Gasflaschen benutzt. Die beiden Täter wurden auf Überwachungskameras identifiziert. Dschihad stellte sich später in seiner Heimatstadt Tripoli und steht nun in Beirut vor Gericht. Jussuf wurde in Deutschland gefasst. Er wartet in Berlin auf seinen Prozess.

Die "verbrecherische libanesische Regierung"

Ein Besuch bei den Familien der "Kofferbomber" in Tripoli: Dschihads Vater war Unteroffizier bei der libanesischen Armee, er ist so schlicht wie er hart ist: "Ich habe meinen Sohn anständig erzogen. Er ist anständig. Er schaut auf den Boden, wenn im Aufzug jemand zusteigt." Während der 21-jährige Jussuf verbissen schweigt, hat der ein Jahr jüngere Dschihad längst gestanden. Sein Rechtsanwalt Zawas Zakarija sagt: "Er verdient mildernde Umstände, denn er ist geständig. Er ist von Jussuf benutzt worden, der war der Kopf."

Jussufs Vater ist ein gelegentlich mit Autoteilen handelnder Bauer: Im selben Atemzug, in dem er Gott um Gnade bittet, schimpft er laut auf die "verbrecherische libanesische Regierung". Sein Sohn habe keinerlei Kontakt zu radikalen Islamisten gehabt, er sei ein fleißiger Student. So vehement beharrt er darauf, dass man den Gerüchten kaum glauben mag, der alte Hadsch al-Dib selbst sei Mitglied einer radikal-islamischen Untergrundorganisation.

Doch nun hat sich doch gezeigt, dass Jussufs Familie engste Verbindungen zum militanten Milieu im Libanon hat: Einer der insgesamt zehn Brüder ist am Wochenende bei Schießereien zwischen der libanesischen Armee und Radikalen getötet worden.

Das hart umkämpfte Lager

Es waren Szenen, wie sie das Land seit Ende des Bürgerkriegs nicht mehr erlebt hatte: Libanesen schossen auf Libanesen, mit Gewehren, Panzerfäusten, Geschützen. Tote Soldaten lagen in den Straßen, im Kugelhagel wurden Verletzte davongetragen, Häuser brannten aus. Die Gefechte zwischen militanten Palästinensern aus dem Flüchtlingslager Nahr al-Bared und den Schulter an Schulter mit ihnen kämpfenden libanesischen Islamisten auf der einen Seite und der Armee auf der anderen waren die heftigsten seit 1990: Allein bis Montagabend wurden etwa 50 Tote gezählt. Einer davon war Saddam al-Hadsch Dib, der Bruder des "Kofferbombers".

Die Armee, ausgestattet mit hoffnungslos veralteten Waffen und Funkgeräten aus den siebziger Jahren, rückte gegen die in den Häusern verschanzten Kämpfer der Fatah al-Islam vor, so gut es ging. Den ganzen Sonntag wurde geschossen, noch am Montagabend ging die Belagerung des palästinensischen Lagers weiter. Mindestens 27 Soldaten starben, dazu mehr als 20 Militante. Unklar ist, wie viele Zivilisten im Lager umkamen, in dem 22.000 Menschen leben. Ein muslimischer Geistlicher berichtete dem TV-Sender al-Dschasira aus Nahr al-Bared: "Die Armee beschießt Häuser, in denen Zivilisten sind. Was haben diese Frauen und Kinder getan?"

Der erschossene Saddam al-Hadsch Dib wurde von der libanesischen Staatsanwaltschaft schon lange gesucht - als einer der fünf Angeklagten im Beiruter Kofferbomber-Prozess. Er soll seinen Bruder Jussuf in höchsten Tönen gelobt haben, als dieser ihm von dem Terrorversuch in Deutschland erzählt habe. Und Saddam al-Hadsch Dib war keine Randfigur der Militanten. Er war laut den libanesischen Behörden einer der ranghöchsten Kommandanten der palästinensischen Fatah-al-Islam-Miliz.

Dies zeigt, wie eng verflochten die Palästinensermilizen offenbar mit libanesischen Islamisten und möglicherweise auch mit dem Terrornetzwerk al-Qaida sind. Der Führer der Fatah al-Islam hatte in Zeitungsinterviews getrommelt, er trainiere Kämpfer für den Heiligen Krieg gegen die Amerikaner im Irak. Und Sakr al-Absi ist kein Unbekannter: Er wurde gemeinsam mit dem inzwischen getöteten irakischen Al-Qaida-Chef Abu Mussab al-Sarkawi in Jordanien in Abwesenheit zum Tode verurteilt, wegen Mordes an einem US-Diplomaten.

Unklar ist, wie der in libanesischen Flüchtlingscamps untergetauchte Palästinenser zu Syriens Geheimdiensten stand. Obwohl er auch von den Behörden in Damaskus gesucht wurde, besteht der Verdacht, er und seine Fatah al-Islam hätten mit den dortigen Geheimdiensten gemeinsame Sache gemacht: Seitdem sie 2005 schmachvoll aus dem Libanon abziehen musste, ist der ehemaligen Besatzungsmacht jedes Mittel recht, das Nachbarland zu destabilisieren.

Pro-Saddam-Hussein-Parolen an den Wänden

Und die Palästinenser sind ein hervorragendes Instrument. Die zwölf Palästinenserlager im Libanon gelten als Brutstätte fundamentalistischer Militanz, Hort der Kriminalität und als Außenposten des Nachbarstaates Syrien. Etwa 300.000 Flüchtlinge aus den Nahostkriegen leben im Libanon, die meisten in Lagern. Zu den schäbigen Häusern in Beirut, Tripoli und Sidon kommen die verbunkerten Militärcamps in den Bergen: Palästinensische Milizen haben sich in den Jahren des Bürgerkriegs regelrechte Festungen gebaut, finanziert und bewaffnet von der Besatzungsmacht Syrien.

Militante Palästinenser, radikale Islamisten, syrische Agenten - das ist das Umfeld, aus dem die deutschen "Kofferbomber" stammen. Im Gegensatz zu anderen Städten des Libanons ist Tripoli weitgehend sunnitisch besiedelt, es ist religiös homogen und geistig engstirnig. Investitionen gehen ins knapp 90 Kilometer entfernte Beirut, die örtliche Industrie liegt am Boden, ganze Stadtviertel und die Palästinenserlager versinken in Armut, an Häuserwänden finden sich Pro-Saddam-Hussein-Parolen.

Tripoli ist der ideale Nährboden für Radikale. In den Moscheen der Stadt predigen sunnitische Fundamentalisten: Die Hafenstadt ist traditionell ein Hort der Salafisten, jener radikal-islamischen Predigergruppen, bei denen die Grenzen zwischen Religion und Militanz schnell verschwimmen. "Wenn wir in unseren Moscheen nicht Zurückhaltung predigen würden, gäbe es Hunderte solcher Kofferbomber", sagt Dai al-Islam al-Schahil.

"Jeder weiß doch, woher die Gewalt kommt."

"Die Jugend ist erbost über all das, was um sie herum geschieht, was sie täglich im Fernsehen sieht." Der Scheich sitzt in seiner Wohnung, er ist ganz in Weiß gekleidet, hat sich ein Tuch über den Kopf gehängt. Die Frauen des Hauses sind nur zu hören: Sie klopfen an die Zimmertür, wenn die Getränke auf der Anrichte stehen. Bei solch ultrakonservativen Muslimen zeigen sich die Frauen den Fremden erst gar nicht.

Der Scheich leitet die "Dschamaat al-Hidaja". Es ist eine ebenso traditionelle wie strenge Salafisten-Organisation: "Wir predigen das wahre muslimische Leben im Geiste des Propheten." Die Gruppe unterhält nicht nur Moscheen und Schulen in Tripoli. Sie hat auch einen Radiosender, der rund um die Uhr sein religiöses Programm ausstrahlt. Mit der unmissverständlichen Ablehnung von Gewalt tut sich der Scheich eher schwer. Der Dschihad habe Regeln, er sei in bestimmten Fällen der Aggression gegen Muslime erlaubt und Pflicht. "Jeder weiß doch, woher die Gewalt kommt. Die Amerikaner überfallen den Irak, die Israelis töten täglich Palästinenser."

Jussufs Vater, der von den militanten Abwegen seiner Söhne nichts gewusst haben will, sagt: "All diese Langbärtigen sind doch nur Lügner und Beutelschneider." Selbst wenn der Vater doch die Wahrheit sagt und entgegen aller Wahrscheinlichkeit nichts vom Doppelleben zumindest zweier seiner Söhne gewusst haben sollte: Jussuf und Saddam al-Hadsch Dib haben das alles offenbar anders gesehen.

© SZ vom 22. Mai 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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