Leitartikel:Modern, aber wie?

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Japan wirbt um die Anerkennung der Welt. Es verblüfft mit seiner Hightech-Kompetenz und will zur globalen Marke werden. Aber auch ein Innovationsland muss sich den großen gesellschaftlichen Fragen stellen.

Von Thomas Hahn

Der Papst in Japan: Es ist der erste Besuch des katholischen Kirchenoberhaupts seit 38 Jahren, und die spannende Frage ist, ob es Franziskus in den vier Tagen seines Aufenthalts gelingt, mit christlichen Werten ein paar Denkanstöße zu geben im Land des Shintoismus. Am Sonntag war er in den Städten Nagasaki und Hiroshima, die 1945 von Atombomben der USA zerstört wurden, er forderte die Abschaffung aller Atomwaffen und betete für den Weltfrieden. Das war naheliegend und übrigens auch im Sinne der rechtskonservativen japanischen Regierung, die sich bedroht fühlt vom atomaren Arsenal Chinas und Nordkoreas. Aber ob Franziskus den Elite-Politikern auch etwas über den Zusammenhang von Schuld, Reue und Vergebung vermitteln kann? Zum Beispiel wenn er an diesem Montag Premierminister Shinzo Abe trifft, der gerade einen Streit mit Südkorea über Japan als Kolonial- und Kriegsmacht verantwortet?

Japan und die Welt, dieses Verhältnis ist nicht ganz einfach. Das hat sicher viel damit zu tun, dass die Welt - insbesondere das stolze Europa - oft so sehr mit ihren großen Fragen beschäftigt ist, dass sie die kleineren Japans unterschätzt. Es liegt aber auch daran, dass der Inselstaat über die Jahrhunderte hinweg und zeitweise unbeeinflusst von jeder anderen Kultur seinen sehr eigenen Lebensstil entwickelt hat. Die Faszination, die für viele Europäer und Amerikaner von Japan ausgeht, kommt von der Exotik dieses Lebensstils mit eigener Religion, eigenem Sport, eigenem Theater, eigener Zeitrechnung. Japan vereint uralte Kultur und Hypermoderne und hat es mit seinem sehr speziellen Charakter zur drittgrößten Volkswirtschaft hinter den USA und China gebracht. Allerdings haben sich auch viele Missverständnisse entwickelt. Japan und die Welt scheinen gar nicht genau zu wissen, was sie voneinander lernen könnten, um jeweils besser zu werden.

Insofern ist es gut, dass Japans Regierung einen Kurs der Öffnung eingeschlagen hat. Sie holt gerade alles ins Land, was internationale Aufmerksamkeit verspricht, zuletzt G-20-Gipfel und Rugby-WM, nächstes Jahr Olympische und Paralympische Spiele, 2025 die Expo, jetzt also den Papst. Dieser Kurs hat wohl eher wenig mit Nächstenliebe zu tun. Japan soll zu einer globalen Marke werden. Der Tourismus soll wachsen, Japans Firmen wollen ihre Errungenschaften bewerben. Aber das ändert ja nichts daran, dass es fruchtbar für alle sein kann, wenn Japan seine Idee von Zukunft vorstellt.

Die Japaner arbeiten daran, die Welt mit ihrer Hightechkompetenz zu verblüffen, wie schon bei den Olympischen Spielen 1964 in Tokio, als sie ihren Schnellzug Shinkansen vorstellten. Künstliche Intelligenz und 5G-Internet sind die Zutaten, mit denen sie eine neue Gesellschaft bauen wollen.

Allerdings zeichnet sich ein Innovationsland nicht nur durch eine hohe Roboterdichte oder superschnelle Datenübertragung aus. Das Bewusstsein für die abstrakteren Themen des 21. Jahrhunderts müssen schon mitwachsen. Wie gewährleistet man Freiheitsrechte? Wie schont man die Umwelt? Wie überwindet man einen Nationalismus, der Aussöhnung verhindert? In diesen wichtigen Fragen müsste Japan eigentlich in die Beratungssprechstunde bei anderen freiheitlichen Demokratien.

Nur sehr langsam und unter dem Druck des demografischen Wandels gibt man hier herkömmliche Rollenbilder auf und kommt davon ab, Einwanderung als Bedrohung zu sehen. Die beiläufige Art, mit der Staatsvertretungen japankritische Kunst durch Kürzungen oder Schließungen mobben, entlarvt den weiterhin rechtsradikalen Geist der Regierung. Und ihr Umgang mit Japans Vergangenheit ist ein Affront gegenüber anderen Ländern, die allen Rechtstendenzen zum Trotz das schmerzende Bewusstsein für die eigene Kriegsschuld aufrecht erhalten.

Gerade erst ist Japan die Peinlichkeit erspart geblieben, ohne das Sicherheitsabkommen GSOMIA mit Südkorea dazustehen, bei dem es vor allem um Informationen über Nordkorea geht. Dass die Südkoreaner den Vertrag auslaufen lassen wollten, hat indirekt auch damit zu tun, dass die Abe-Regierung nichts mehr von Japans Vergangenheit als Kolonialmacht in Südkorea hören will; allerdings bestanden die USA auf der Fortsetzung des Abkommens. Die Japaner werden vermutlich für alle Zeit ihr Selbstmitleid pflegen, weil die Koreaner einfach nicht vergessen wollen, was Zwangsarbeiter und Zwangsprostituierte unter japanischer Besatzung erleiden mussten.

In Europa gebe es eine Kultur des Vergebens, sagt mancher belesene Japaner, wenn er Koreas ewige Anklage beklagt. Hier könnte der Papst etwas klarstellen. Vergebung bekommt man nicht für das Vergessen, sondern für die glaubwürdige Einsicht, dass sich ein Vergehen nicht wiederholen darf. Das ist ein sehr altes Prinzip, das eine moderne Nation allerdings verstanden haben sollte.

© SZ vom 25.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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