Landespolitik:Das Wagnis von Wiesbaden

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Ewald Hetrodt beschreibt, wie Schwarz-Grün in Hessen regiert und warum die Koalition funktioniert.

Von Gianna Niewel

Es gibt den Begriff des Zeitfensters, eine etwas umständliche Beschreibung dafür, dass etwas am besten zwischen einem Zeitpunkt A und einem Zeitpunkt B passieren sollte. Wenn man etwa ein Buch über die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen schreibt und das mit der Frage verbindet, ob es auch ein Modell für Berlin sein könnte, ist es zum Beispiel nicht gut, wenn die beiden Parteien keine Mehrheit mehr haben. Oder? "Grün im Politiklabor" heißt das Buch des FAZ-Reporters Ewald Hetrodt, der genau dieser Frage nachgegangen ist, und die gute Nachricht ist, dass dem Buch Zeitfenster egal sein können.

Gute Stimmung, meistens: Volker Bouffier (CDU, l), Ministerpräsident des Landes Hessen, und sein Stellvertreter Tarek Al-Wazir (Bündnis 90/Die Grünen). (Foto: dpa)

Zunächst zu den beiden zentralen Figuren: Da ist Volker Bouffier, 69 Jahre alt, gelernter Rechtsanwalt. Nach mehreren Jahren als Innenminister wurde er 2010 Ministerpräsident. Und da ist Tarek Al-Wazir, 50 Jahre alt, gelernter Politikwissenschaftler. Seit 2014 ist er Bouffiers Stellvertreter und Minister für Wirtschaft und Verkehr. Was sie verbindet? Ihr Machtbewusstsein und ihre Eitelkeit, schreibt Hetrodt.

"Schockierend stabil", stöhnen die Linken

Die Stärke des Buchs ist dabei vor allem, wie genau der Autor das eher ungewöhnlich Bündnis herausarbeitet, dessen Ursprung eng verknüpft ist mit der schwächelnden SPD. 2008 versuchte Andrea Ypsilanti, sich mit Hilfe der Linken als Ministerpräsidentin einer rot-grünen Minderheitsregierung wählen zu lassen. Dafür bezahlte ihre Partei bei der folgenden Wahl. 2013 hatte sich die SPD wieder stabilisiert, 30,7 Prozent, was mit Blick auf mögliche Koalitionen vor allem eins bedeutete: eine unklare Gemengelage. Das Buch beschreibt nun minutiös, wie die Parteien parallel sondierten und wie sich Schwarz und Grün annäherten. Wie diese neue Regierung stand - und wie sie seither hält.

Ewald Hetrodt: Grün im Politiklabor Hessen – Modell für Berlin? Verlagshaus Römerweg, Wiesbaden 2021. 192 Seiten, 14,90 Euro. (Foto: N/A)

Interessant ist vor allem, wie dieses Halten eher eine Herausforderung ist. Und das ist es oft. Die CDU setzte sich etwa durch beim Ausbau des Frankfurter Flughafens und dem der A49. Hierzu mussten Teile des Dannenröder Forsts gefällt werden. Im Umkehrschluss nahm die CDU die Grüne Umweltschutzministerin in Schutz, als deren Ministerium tagelang darüber informiert war, dass auf der Frischwurst eines hessischen Betriebs Listerien gefunden wurden - aber nicht reagierte. "Schockierend stabil", nannte deshalb die Linken-Chefin Janine Wissler die Koalition.

"Grün im Politiklabor" verliert sich an einigen wenigen Stellen im Klein-Klein der hessischen Landespolitik. Gleichzeitig zeigt es aber genau daran, was Politik eben auch ausmacht: den Wert einer stabilen Regierung, die trotz Differenzen seit Jahren funktioniert - und die Notwendigkeit sowohl bei CDU als auch bei den Grünen, hierfür Kompromisse einzugehen, zu welchem Preis ist dann noch mal eine andere Frage. Und zumindest das ist ja etwas, Zeitfenster hin oder her, was durchaus ein Modell für Berlin sein könnte.

© SZ vom 20.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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