Landesparlamente:Politik ohne Feierabend

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Stress in der hanseatischen Gediegenheit: Die Bürgerschaft im Hamburger Rathaus besteht derzeit aus sechs Fraktionen, deren Meinungen auf einen Nenner gebracht werden müssen. (Foto: Marcus Brandt/dpa)

Doppelbelastung durch Beruf und Mandat: Die Parlamentarier in Hamburg, Bremen und Berlin sind politische Teilzeitbeschäftigte. Nicht alle Abgeordneten können das schultern.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Stefanie von Berg hatte selbst Sorge, dass ihr etwas fehlen könnte. Aber mittlerweile ist sie seit sechs Wochen draußen aus der Hamburgischen Bürgerschaft und stellt fest: Ihr fehlt wenig vom Leben als Abgeordnete im Teilzeitparlament des rot-grün regierten Stadtstaates. Die Menschen in der kleinen Rathaus-Welt, die schon. Aber sonst? Die Bühne der Landespolitik, die Öffentlichkeit, dieses Gefühl, gefragt zu sein als bildungspolitische Sprecherin der Grünen - vermisst sie alles nicht. "Im Gegenteil, ich bin total froh." Sie muss nicht mehr von ihrer Arbeit als leitende Lehrerinnen- und Lehrer-Ausbilderin am Studienseminar in Stade zu politischen Pflichten eilen. Das Familienleben ist entspannter. Stefanie von Berg bereut nicht, dass sie mitten in der Legislaturperiode ihr Mandat abgegeben hat. Sie sagt: "Es war einfach nicht mehr zu schaffen."

Es ist die letzte Sitzungswoche im Plenum 2018, ein hartes Jahr geht zu Ende für die 121 Abgeordneten der Hamburgischen Bürgerschaft. Die sechs Fraktionen schenken sich nichts, der Sonderausschuss zu den Ausschreitungen beim G-20-Gipfel 2017 war für sie eine zusätzliche Prüfung. Und dabei flog ihnen keineswegs die ungeteilte Anerkennung von Medien und Menschen zu. Es kann deshalb schon sein, dass manche Abgeordneten dieser Tage noch mal in stiller Dankbarkeit der Ex-Kollegin von Berg gedenken. Denn dass die angesehene Bildungspolitikerin zum 1. November aus dem Politikbetrieb ausscherte, hat ein Thema in die Öffentlichkeit gebracht, das sie ungern selbst auf die Agenda bringen: Das Teilzeitparlament ist eine grenzwertige Anstrengung geworden für die Berufstätigen mit Mandat neben der Arbeit.

In den Hansestädten gehört ein politisch einflussreiches Bürgertum zur Tradition

In den Flächenländern des Bundes hat man längst eingesehen, dass das Hin und Her zwischen Beruf und Mandat nicht zu leisten ist, wenn der Wählerauftrag ernst genommen werden soll: Es gibt nur hauptberufliche Abgeordnete. In den drei Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg hat die Zumutung aber Bestand. Die Wege sind kurz, vor allem in den Hansestädten gehört ein politisch einflussreiches Bürgertum zur Tradition. Und ist es nicht auch ein Element gelebter Demokratie, dass die Regierung von einem Parlament kontrolliert wird, dessen Abgeordnete im normalen Berufsleben stehen?

Dem Gedanken kann Stefanie von Berg, 54, folgen. Sie hat ja sieben Jahre lang ihre Erfahrungen als Oberstudiendirektorin in die Politik eingebracht, Gesetzesinitiativen angestoßen, ihre Themen als allzeit bereite Gesprächspartnerin vertreten. "Ich blicke nicht im Zorn zurück." Aber der Aufwand war groß. Auf 75 Prozent hatte sie ihren Dienst im Studienseminar heruntergedimmt, vormittags war sie dort, nachmittags im Rathaus, dazu kamen Abendveranstaltungen, Pressetermine, Bürgeranfragen, Wochenendeinsätze. "Unter 60 Stunden pro Woche kam ich nie, in der Regel waren es 70 bis 80." Ihre Diäten von 2800 Euro waren ein schwacher Trost für den Verdienstausfall im Beruf. "Ich habe 500 Euro mehr verdient für 30, 40 Wochenstunden mehr Arbeit." Als dann noch die Sitzungszeiten auf den frühen Nachmittag vorverlegt wurden, passten ihr Leben als Studiendirektorin und das als Politikerin endgültig nicht mehr zusammen.

"Ich habe das zutiefst bedauert", sagt Carola Veit, die Bürgerschaftspräsidentin, und fügt hinzu: "Die Entscheidung war aber nachvollziehbar." Mit Fraktionsvorsitzenden und parlamentarischen Geschäftsführern gehört die Bürgerschaftspräsidentin zu den hauptamtlichen Mitgliedern des Parlaments. Sie ist eine Hüterin der Bürgerschaft, gleichzeitig blickt sie mit fast mütterlicher Fürsorge auf die Abgeordneten. Sie verteidigt das Teilzeitparlament mit Mitgliedern, von denen "viele, nicht alle" noch im ursprünglichen Beruf arbeiten: "Grundsätzlich ist das Modell schon wertvoll, dass wir 121 Politik-Botschafter in der Stadt haben." Dann spricht sie von der gestiegenen Belastung. Eine zersplitterte Opposition bringt mehr Anfragen denn je ein. In 19 Fachausschüssen wühlen sich die Abgeordneten durch die Themenvielfalt der wachsenden Stadt, bereiten Sitzungen vor und nach, pflegen soziale Medien und die Bürgerbeteiligung. "Es zerreißt viele", sagt Veit, "ich sehe das mit großer Sorge."

Was tun? Klagen hört der Wähler nicht gern. Gewerkschaften für Abgeordnete gibt es nicht. Die Grünen sind für ein Vollzeitparlament und wollen per Enquetekommission "die demokratischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekte" prüfen lassen, wie Fraktionschef Anjes Tjarks sagt. Dessen SPD-Kollege Dirk Kienscherf klingt defensiver: "Die zukünftige Struktur des Parlaments kann eine Frage für die Abgeordneten der nächsten Wahlperiode sein." Die CDU steht eigentlich zur Tradition, aber befürwortet eine Enquetekommission. Der FDP ist für Teilzeit-Politik mit weniger Ausschüssen und einem wissenschaftlichen Dienst für Abgeordnete. Die Linke fände auch mehr Rechte des Parlaments hilfreich, etwa schärfere Auskunftspflichten der Regierung. Und die AfD? Meint nichts. Die Fraktion sei "noch im Entscheidungsfindungsprozess".

Carola Veit klingt skeptisch beim Thema Vollzeitparlament. Zu teuer, und das geltende Wahlrecht steht davor. Sie hinterfragt lieber, ob Hamburg wirklich die niedrigsten Diäten aller Bundesländer zahlen muss. Die Diätenkommission prüft die Möglichkeiten. Stefanie von Berg hingegen ist für ein Vollzeitparlament, eindeutig. "Man lügt sich sonst in die Tasche." Gute Leute bräuchten Anreize und reale Chancen, sich auf den Wählerauftrag konzentrieren zu können. Außerdem findet sie ein Teilzeitparlament schlicht "unprofessionell". Als Abgeordnete hat sie sich oft wie eine Amateurin in der ersten Liga gefühlt.

© SZ vom 12.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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