Kurdenkonflikt:Türkei vor unruhigen Zeiten

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Sechs Jahre nach Beginn des Friedensprozesses mit den Kurden stoppt Präsident Erdoğan den Dialog. Zugleich fordert er Solidarität von der Nato.

Von daniel brössler, Thomas Kirchner, Brüssel

Im Kampf gegen den Terror des Islamischen Staats (IS) hat sich die politische Lage in der Türkei innerhalb von wenigen Tagen verändert. Bisher hatte sich die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan an den internationalen Bemühungen, den IS einzudämmen, kaum beteiligt. Den Terroranschlag von Suruç in der vergangenen Woche nutzt Erdoğan offenbar für einen Strategiewechsel: Er will nun nicht nur gegen den IS, sondern gleichzeitig gegen die Kurden vorgehen. Damit könnte der Türkei eine neue Phase politischer Unsicherheit bevorstehen.

Erdoğan kündigte am Dienstag den Friedensprozess mit den Kurden auf, der 2009 im Geheimen begonnen hatte und 2012 offiziell wurde. "Es ist nicht möglich, einen Lösungsprozess fortzuführen mit denjenigen, die Einheit und Integrität der Türkei untergraben", sagte er. Der Konflikt mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK hatte sich in den vergangenen Tagen zugespitzt. Nach dem Selbstmordanschlag in Suruç mit 32 Toten, den die Türkei dem IS anlastet, tötete die PKK zwei Polizisten als "Vergeltung". Sie warf ihnen Kollaboration mit dem IS vor. Nach Luftattacken der Türkei auf den IS in Syrien, aber auch das PKK-Hauptquartier in den nordirakischen Kandil-Bergen, erklärte die PKK den seit 2013 bestehenden Waffenstillstand für beendet. Es folgten Anschläge, bei denen zwei Soldaten und ein Gendarm starben.

Erdoğan sagte, er sei gegen ein Verbot der prokurdischen Oppositionspartei HDP, es könne jedoch gegen einzelne Parteimitglieder vorgegangen werden, die Verbindungen zu Extremisten hätten. Die HDP hatte bei der Wahl im Juni erstmals die Zehn-Prozent-Hürde überwunden. Eine neue Regierung wurde noch nicht gebildet. HDP-Chef Selahattin Demirtaş wies Fehlverhalten seiner Partei zurück: "Unser einziges Verbrechen war es, dass wir 13 Prozent der Stimmen gewonnen haben."

Für seine Pläne wünscht sich Erdoğan ausdrücklich Solidarität der Nato-Partner und bringt das Bündnis damit in eine heikle Lage, da einige Staaten Angriffe auf die Kurden nicht für sinnvoll halten. In Brüssel tagte am Dienstag auf türkischen Antrag der Nato-Rat. Die Türkei unterrichtete die Verbündeten über die zugespitzte Lage an der Grenze zu Syrien wie zum Irak und verwies auf Anschläge, für die sie die kurdische PKK verantwortlich macht. Die Nato verurteilte die "Terroranschläge gegen die Türkei" scharf und sprach der türkischen Regierung wie auch den Angehörigen der Opfer des Anschlags von Suruç ihr Mitgefühl aus. In der Sitzung mahnten mehrere Vertreter Verhältnismäßigkeit im Kampf gegen den Terror an. Sie sprachen sich überdies für eine Fortsetzung des Friedensprozesses mit den Kurden aus. In der Sitzung sind keine Mobiltelefone zugelassen. Die Botschafter wussten daher nicht, dass Erdoğan den Friedensprozess währenddessen für beendet erklärt hatte.

Die Türkei erbat im Nato-Rat ausdrücklich nur die Solidarität der Allianz und keine darüber hinausgehende Unterstützung. "Terrorismus stellt eine direkte Bedrohung der Sicherheit der Nato-Staaten und der Stabilität und des Wohlstands in der Welt dar", heißt es in der Nato-Erklärung. Die Sicherheit in der Allianz sei unteilbar, man stehe an der Seite der Türkei.

© SZ vom 29.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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