Kritik an Israel:Bomben, die das Ansehen treffen

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Israel steht weltweit zunehmend in der Kritik. Nun versucht das Land, mit einer diplomatischen Offensive zu kontern.

Thorsten Schmitz

Just zu dem Moment, an dem in Rom die Libanon-Konferenz abgehalten wurde, tötete die israelische Luftwaffe bei einem ihrer Angriffe auf mutmaßliche Ziele der Hisbollah-Miliz im Süden Libanons vier Soldaten der UN-Truppe Unifil.

Indische Blauhelm-Soldaten bergen ihre getöteten Kollegen. Sie waren bei einem Luftangriff Israels ums Leben gekommen. (Foto: Foto: dpa)

Während Mitglieder westlicher Regierungen und UN-Generalsekretär Kofi Annan heftige Kritik an Israel übten, entschuldigte sich Israels Premier Ehud Olmert für den Tod der Unifil-Soldaten.

Von der Armee gab es zunächst keine Erklärung für den Vorfall. Auch in den israelischen Medien wurde der Tod der vier Soldaten unter "ferner liefen" behandelt.

Alle Aufmerksamkeit der Medien gilt seit Tagen und besonders an diesem Mittwoch den heftigen Kämpfen in der südlibanesischen Hisbollah-Hochburg Bint Dschbeil. Dort ist die Armee nach eigenen Angaben in einen Hinterhalt geraten und hat schwere Verluste erlitten.

Mindestens neun Soldaten seien "getroffen" worden, erklärte Mittwochmittag eine Armeesprecherin. "Getroffen" ist meist ein Euphemismus für getötet.

Olmert entschuldigt sich

In der israelischen Berichterstattung über den "Krieg im Norden", wie Fernsehen und Zeitungen übereinstimmend die Offensive bezeichnen, wird den israelischen Opfern und der Bombardierung von Nord-Israel das Hauptaugenmerk eingeräumt.

Wer in Israel mehr über die Zerstörung im Libanon erfahren möchte oder über den Angriff auf die Unifil-Soldaten, schaltet um auf CNN.

In einem Telefongespräch entschuldigte sich Olmert am Mittwoch persönlich bei UN-Generalsekretär Kofi Annan für den Tod der vier Soldaten. Olmert, so heißt es aus seinem Büro in Jerusalem, habe zugleich "seine Verwunderung" über Annans Äußerungen zum Ausdruck gegeben.

Annan hatte erklärt, die israelische Luftwaffe habe "offenbar vorsätzlich" die Unifil-Truppen ins Visier genommen. Belege für seine Behauptung hatte der UN-Generalsekretär nicht genannt.

Olmert kündigte an, den tödlichen - und für Israel überaus peinlichen - Zwischenfall untersuchen zu lassen. Zwei Wochen nach Beginn der Libanon-Offensive steht Israel zunehmend im Kreuzfeuer internationaler Kritik. Bislang sind etwa 400 Libanesen getötet worden, darunter meist Zivilisten. Auch sind 40 Israelis ums Leben gekommen, darunter mehr als die Hälfte Soldaten.

Der Irrtum der Angreifer

Der Luftangriff wurde von der EU scharf kritisiert. Frankreichs Präsident Jacques Chirac sagte, wer Friedenssoldaten angreife, der greife die internationale Gemeinschaft an.

Der finnische Außenminister und amtierende EU-Ratsvorsitzende Erkki Tuomioja sprach von einem "völlig inakzeptablen" Vorfall. Die Bundesregierung reagierte zurückhaltender.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe ihr "tiefes Bedauern" geäußert, sagte Regierungssprecher Thomas Steg. Merkel ginge aber davon aus, dass Israel die Unverletzlichkeit von UN-Einrichtungen respektiere.

Um die weltweit zunehmende Kritik an Israel zu kontern, hat die Regierung mehrere Mitarbeiter in europäische Hauptstädte entsandt, unter anderen Vize-Regierungschef Schimon Peres, die dort den Medien zur Verfügung stehen und den israelischen Standpunkt erläutern sollen. Im Falle der Tötung der Unifil-Soldaten allerdings dürfte es Israel schwer fallen, auf Verständnis zu stoßen.

Nach Angaben eines Sprechers der Unifil-Beobachtertruppe im Libanon war der Stützpunkt Chijam nahe der Grenze zu Israel direkt getroffen worden. Bei den unbewaffneten Toten soll es sich um einen Österreicher, einen Finnen, einen Chinesen und einen Kanadier handeln.

Soldaten graben mit blosen Händen

Der Stützpunkt ist nach Unifil-Angaben seit langem bekannt und darüber hinaus deutlich markiert gewesen. Die Bergungsarbeiten erwiesen sich als äußerst schwierig. Nach Angaben der Unifil beteiligten sich etwa 50 Mitarbeiter der Blauhelm-Mission an der Bergung der Toten.

Stunden nach dem tödlichen Angriff war noch immer die Leiche eines der vier Opfer nicht geborgen worden. Zwei der geborgenen Toten seien verstümmelt.

Die Soldaten sollen in einem Bunker Schutz gesucht haben vor der israelischen Luftwaffe. Bei der Attacke sei der Bunker völlig zerstört worden, hieß es aus Unifil-Kreisen.

Es sei aufgrund der zerstörten Infrastruktur in der Umgebung nicht möglich gewesen, in kurzer Zeit einen Bagger oder Bulldozer an den Ort zu bringen, weshalb Soldaten mit bloßen Händen oder mit einfachen Werkzeugen nach ihren Kameraden gegraben hätten.

Aus dem Verteidigungsministerium in Tel Aviv hieß es, dass in der Umgebung des Unifil-Postens für die Zeit der Bergungsarbeiten sämtliche Luftangriffe gestoppt würden.

Ein Unifil-Mitarbeiter erklärte jedoch am Nachmittag, die Bombardements der israelischen Luftwaffe seien um den zerstörten Unifil-Posten herum weitergegangen.

Die Vereinten Nationen in New York teilten zudem offiziell mit, es habe in den sechs Stunden vor dem tödlichen Einschlag 14 andere Explosionen im Umfeld des UN-Postens gegeben.

Vergebliche Hilferufe

Etwa zehn Mal hätten die vier unbewaffneten UN-Beobachter einen israelischen Verbindungsoffizier gebeten, sicherzustellen, dass sich dies nicht wiederhole. Doch obwohl der Offizier versprochen habe, die Bombardierung beenden zu lassen, sei sie weitergegangen. Kurz darauf sei der Posten zerstört worden.

Der israelische Regierungssprecher Mark Regev erklärte auf Anfrage, Israel bedauere den Tod der Unifil-Soldaten. Israel habe die Truppe nicht im Visier gehabt, sondern im Gegenteil seit Beginn der Luftangriffe ein besonderes Augenmerk auf deren Unversehrtheit gelegt.

In einer Mitteilung der Armee heißt es, in dem fraglichen Gebiet habe ein Stützpunkt der Hisbollah getroffen werden sollen. Seit Beginn der jüngsten Offensive sind laut UN bereits zwölf Mitglieder der internationalen Blauhelm-Mission getötet oder verletzt worden.

Die Tötung der UN-Soldaten wirft ein Schlaglicht auf die Unifil. Die "United Nations Interim Force in Libanon" ist nicht interimistisch, sondern bereits seit 1978 im Süden des Zedernstaates stationiert. Ihre heute nur noch etwa 2000 Mann starke Truppe ist unbewaffnet und zum Zuschauen verdammt.

Über dem getroffenen UN-Stützpunkt steigt Rauch auf. (Foto: Foto: dpa)

Zu Beginn sollte die Truppe, damals noch etwa 7000 Mitglieder stark, den Abzug Israels aus der Sicherheitszone überwachen und der libanesischen Regierung helfen, ihren Machtanspruch auch im Süden des Landes durchzusetzen.

30000 Mann starke Truppe?

Doch erreicht hat die Mission dieses Ziel nicht. Stattdessen ist es der Hisbollah gelungen, im Süden einen Staat im Staate einzurichten.

Auch die Entführung dreier israelischer Soldaten vor drei Jahren konnten die Blauhelme nicht verhindern - stattdessen hatten sie diese gefilmt.

Israel ist daher besonders unzufrieden mit der UN-Truppe, deren Mandat turnusgemäß vom Sicherheitsrat alle sechs Monate erneuert wurde. Die derzeitige Mission läuft am Montag aus und soll voraussichtlich nun nur noch monatlich erneuert werden.

Israel hat sich, in enger Absprache mit den USA, derweil für eine "robuste Friedenstruppe" in Südlibanon ausgesprochen, die die Unifil ersetzen soll.

Israelische Sicherheitszone

Die neue, womöglich bis zu 30000 Mann starke Truppe soll vorwiegend aus Soldaten der Türkei und Ägyptens bestehen, allerdings hat Ägyptens Staatschef Hosni Mubarak bereits erklärt, Ägypten habe kein Interesse, seine Soldaten in einen verlustreichen und kostspieligen Krieg nach Libanon zu entsenden.

Bis zu einer möglichen Entsendung einer bewaffneten Friedenstruppe, die der libanesischen Armee bei der Stationierung in Südlibanon behilflich sein soll, wird wohl noch viel Zeit vergehen.

Die Unifil-Truppe ist Israel im Weg bei dem Versuch, die Hisbollah zu zerstören.

Die Ankündigung von Verteidigungsminister Amir Peretz, Israel werde nun vorübergehend erneut eine Sicherheitszone in Südlibanon einrichten, sorgte zwar für Überraschung.

Aber aus Sicht Israels ist eine solche Pufferzone die einzige Möglichkeit, den Beschuss von Nord-Israel durch Katjuscha-Raketen zu dezimieren.

Ob die von Zivilisten geführte Regierung unter Olmert ein Mandat des Volks hat für die Einrichtung einer Sicherheitszone, die einer Wiederbesetzung Südlibanons gleichkäme, ist fraglich.

Gewisse Planlosigkeit

Die im Mai 2000 durch den damaligen Premier Ehud Barak geräumte Zone hatte in ihren 18 Jahren eine hohe Zahl getöteter israelischer Soldaten zur Folge und dazu geführt, dass man in Israel von der Zone als "israelischem Vietnam" gesprochen hat.

Peretz ließ es zunächst im Unklaren, wie eine neue Sicherheitszone ausschauen soll. Olmert wurde am Mittwoch mit den Worten zitiert, die Pufferzone solle zwei Kilometer in den Libanon hineinreichen.

Die frühere Sicherheitszone reichte in den Jahren 1982 bis 2000 bis zu 18 Kilometer in den Libanon hinein. Sie war gemeinsam von etwa 1500 israelischen Soldaten und etwa 2500 Soldaten der südlibanesischen Armee kontrolliert worden.

Dass nun die Errichtung einer neuen Sicherheitszone erwogen wird, zeugt von einer gewissen Planlosigkeit im Verteidigungsministerium. Noch vor einer Woche hatte es geheißen, die Armee werde schon "in wenigen Tagen" ihre Offensive beenden.

Auch schießen die Terroristen täglich etwa 100 Raketen auf israelisches Gebiet - so viele wie am Anfang der Libanon-Offensive vor mehr als zwei Wochen.

(SZ vom 27.07.2006)

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