Kriminalität:Das Sichere ist nicht sicher

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Deutschland hat seit Jahren eine der geringsten Kriminalitätsraten der Welt. Trotzdem haben die Leute immer mehr Angst.

Heribert Prantl

Die Sicherheitslage in Deutschland ist objektiv gut und subjektiv schlecht. Das heißt: Seit gut zehn Jahren sehen die Kriminalstatistiken immer besser aus, aber die Leute haben gleichzeitig immer mehr Angst.

Daran wird der große Sicherheitsbericht der Bundesregierung nichts ändern, der Deutschland richtigerweise zu einem der kriminalitätsärmsten Länder der Welt erklärt. Wer die Leute nach der Zahl der Morde und schweren Gewaltverbrechen im Lande befragt, dem werden Zahlen genannt, die die Realität potenzieren; und es wird von Steigerungsraten phantasiert, die es nicht gibt.

Angstpolitik als Standespolitik

Warum das so ist? Erstens hat die Politik der inneren Sicherheit viele Jahre lang nach dem Motto "Alles wird immer schlimmer" gearbeitet und sich aus den Statistiken nur die Zahlen und Kriminalitätsbereiche herausgepickt, die in dieses Schema passten; so wurden immer schärfere Gesetze und Grundrechtseingriffe begründet: Die Kriminalität sank, aber der Politik passte das nicht.

Die Gewerkschaft der Polizei arbeitet noch immer so: Sie betrachtet Angstpolitik als Standespolitik, mit der sie ihre (berechtigten!) Anliegen besser durchsetzen kann. Und für die staatliche Anti-Terror-Politik ist die Angst nach wie vor eine Autobahn für Sicherheitsgesetze.

Zweitens ist die horrende Kriminalitätsangst eine Resultante der medialen Darstellung von Kriminalität. Das Spektakuläre, das Angstmachende wird vergröbert und vergrößert. Vor allem das Fernsehen vermittelt die Vorstellung von einer Kriminalität, die nicht in der Gesellschaft entsteht, sondern ihr von außen angetan wird.

Bezeichnend ist, dass fast ausschließlich über Kapitalverbrechen berichtet wird. Das erweckt den Eindruck einer hoch kriminellen Gesellschaft, in der keiner mehr sicher sein kann. Der Mörder wird zum Prototyp des Rechtsbrechers, sodass der Bürger in jedem Straftäter ein Stück Mörder sieht.

Und drittens: Es gibt eine tiefe und verständliche Sehnsucht nach innerer Sicherheit, die noch weiter wachsen wird - in dem Maß, in dem Wohlstand und gewohnte Ordnung bedroht sind. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Hartz IV und einer Generalverunsicherung, einem Gefühl des Bedrohtseins an sich. Wer verunsichert ist, will bei der Hand genommen werden. Diese Handreichung darf man nicht den Populisten überlassen.

Angst vor Kriminalität ist weder kleinbürgerlich noch reaktionär, sondern real und berechtigt. Jeder macht seine Erfahrungen mit Diebstählen und Autoaufbrüchen; diese Erfahrungen werden von den Medien multipliziert. Eine Innenpolitik, die versuchte, die Angst einfach als übertrieben abzutun, disqualifizierte sich selbst.

Eine Innenpolitik aber, die auf Angst nur mit falschen Verheißungen (also immer neuen Gesetzen) antwortet, disqualifiziert sich nicht minder. Sicherheit entsteht nicht wie beim Bleigießen, wo man die Masse am Kochen hält und dann in eine Form gießt. Innerer Frieden entsteht anders. Unter anderem dadurch, dass man das Recht in Frieden lässt.

© SZ vom 16.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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