Krawalle:Der letzte Häuserkampf

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Mit Bengalos, Steinen und brutaler Gewalt gehen Linksautonome auf die Polizei los - und zwingen Berlins Rathauskoalition zu ungewohnter Einigkeit.

Von Jens Schneider, Berlin

Die Polizei ist jetzt immer da in der Rigaer Straße im Bezirk Friedrichshain, und Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) kann nicht sagen, wie lange dieser Einsatz noch dauern wird. Am Montagnachmittag sieht es so aus, als ob die Stadt sich auf unruhige Tage und vor allem Nächte einzustellen hat. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Viel ist die Rede von Gesprächen, die eine weitere Eskalation verhindern sollen. Aber nach diesem Wochenende "ist im Moment nicht die Zeit für runde Tische", sagt Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD).

Müller hat Henkel im Roten Rathaus zu einem Spitzengespräch gebeten, um sich über den Verlauf eines Wochenendes mit linksautonomen Krawallen informieren zu lassen, die es so seit fünf Jahren nicht gab. Henkel brachte einen Polizeiführer mit, der Müller Details einer Nacht schilderte, an deren Ende am zurückliegenden Sonntag viele Polizisten verletzt wurden, laut Polizeiangaben 123. Rund 3500 Menschen hatten in Friedrichshain ihre Solidarität mit einem linken Wohnprojekt in der Rigaer Straße demonstriert. Vor allem im Anschluss kam es zu Angriffen auf Polizisten, Beamte wurden den Angaben der Polizei zufolge mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern beworfen. Einige seien getreten und geschlagen worden.

Die Polizei spricht von der aggressivsten Demonstration der zurückliegenden fünf Jahre

Henkel sprach von einer "linken Gewaltorgie". Es sei die aggressivste Demonstration der zurückliegenden fünf Jahre in Berlin gewesen, hieß es vonseiten der Polizei. Den Beamten sei "blanker Hass" entgegengeschlagen. Viele fühlten sich an die linke Randale erinnert, wie es sie vor Jahren regelmäßig um den 1. Mai gegeben hatte. Zuletzt blieb es da immer ruhig. Der Konflikt um die Rigaer Straße 94 reicht aber noch weiter zurück, in die Zeit der Kämpfe besetzte Häuser im Ostteil Berlins in den Jahren nach der Wiedervereinigung. Damals hatte es viele Besetzungen leerer Häuser gerade in Friedrichshain gegeben, als einige geräumt werden sollten, kam es zu Straßenschlachten. Auch diese Auseinandersetzungen gelten längst als weithin befriedet, das Haus in der Rigaer Straße ist eine Art Überbleibsel, und inzwischen europaweit ein Symbolprojekt für die linksautonome Szene - eben mit Besetzern und einer nur für die Szene zugängliche Kneipe namens "Kadterschmiede". Zwischenzeitlich hatten Besetzer dort günstige Mietverträge erhalten, die dann von späteren Besitzern nicht mehr anerkannt wurden.

Inzwischen gehört es einer Investmentgesellschaft mit Sitz in London, und die will nun ihr Eigentumsrecht dort durchsetzen. Wie Innensenator Henkel am Montag noch einmal erklärte, sollen für zwei syrische Familien Wohnungen eingerichtet werden. Mitte Juni ließ der Eigentümer die "Kadterschmiede" und einzelne Teile des Hauses von Arbeitern räumen, unter massivem Polizeischutz. Der Hauseigentümer habe erst einmal selbst versucht, sein Recht durchzusetzen, berichtet Henkel. Er und die Bauarbeiter seien bedroht und angegriffen worden. Der Polizeieinsatz dort diene der Gefahrenabwehr. 300 Beamte begleiteten die Räumung, auch jetzt ist Polizei bei den Arbeiten im Haus dabei. Die Beamten wiederum müssten angesichts der Stimmung dort auch sich selber schützen, heißt es. Ein Teil der Nachbarschaft beklagt sich über Behinderungen durch den Polizeieinsatz, manche auch über den Einsatz generell. Zugleich steht ein Rechtsstreit über die Frage an, ob es für diese Räumung überhaupt eine juristisch belastbare Grundlage gab.

Mit Blick auf die Wut und den Ärger von Anwohnern kündigten Müller und Henkel am Montag nach ihrem Gespräch an, dass die Polizei noch mehr kommunizieren, die Gründe für ihre Präsenz erklären soll. Sie müssen sich wohl auf weitere Konflikte einstellen. Aus der linksautonomen Szene wird im Netz zu weiterer Randale aufgerufen. Seit der Räumung gab es neben den Krawallen jede Nacht Gewalttaten, die mit diesem Konflikt verbunden zu sein scheinen - Angriffe auf Büros von Politikern, Brandanschläge gegen Autos, nicht nur in Friedrichshain. Henkel spricht von "Resonanzstraftaten", eine Sonderkommission ermittelt.

Die Opposition drängt darauf, das Gespräch mit der linken Szene zu suchen

Noch in der vergangenen Woche hatte der Regierende Bürgermeister Müller gefordert, dass Deeskalationsgespräche geführt werden sollen. Henkel war stets dagegen, wollte allein auf Härte setzen. Beide inszenierten diesen Streit, der ihre große Distanz zwei Monate vor der Wahl in Berlin noch einmal deutlich machte - und dem zuletzt stets blassen Innensenator die Gelegenheit bot, Profil zu zeigen. Nach ihrem Gespräch standen sie für ein Pressestatement kurz nebeneinander, auch in diesen acht Minuten wurde offenkundig, dass die beiden nicht mehr miteinander können. Aber den offenen Streit, den manche erwartet hatten, erlebte man nicht.

Vermummte Linksautonome protestieren am Samstag in Berlin gegen die Räumung eines besetzten Hauses im Berliner Stadtteil Friedrichshain. (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

"Wir sind uns einig, dass unsere volle Solidarität den Polizeibeamten gilt", fasste Müller die Unterredung zusammen. "Es gibt überhaupt keinen Grund der Solidarität mit irgendwelchen Gewalttätern." Er meinte auch, dass die Eskalation am Wochenende die Urheber der Gewalt aus der linken Szene eher isoliert haben dürfte in der Stadt. Müller berichtete, dass es vor dem Wochenende Gesprächsangebote gegeben habe, die seien aber ausgeschlagen worden. Offenbar ist unklar, wer für die linke Szene sprechen könnte, und wie verlässlich sie wäre. Mit Gewalttätern könne es keinen Dialog geben, betonten beide.

Dagegen dringen Oppositionspolitiker und auch die Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg Monika Hermann von den Grünen darauf, Gespräche mit der linken Szene zu suchen. Es gehe eben nicht darum, mit Gewalttätern zu sprechen, sagte der innenpolitische Sprecher der Grünen, Benedikt Lux: "Im Gegenteil: Wir wollen mit denen reden, die für eine friedliche Lösung in der Rigaer Straße sind." Der Innensenator habe sich offenbar im Senat mit seiner Verweigerungshaltung durchgesetzt, "langfristig ist das keine Lösung". Auf die Frage, wie es nun weiter gehe, antwortete Henkel am Montag: "Ich habe keine Glaskugel."

© SZ vom 12.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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