Konsequenzen:Ausflug in das Reich des Zorns

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Nach dem Berliner Anschlag streiten sie sich in der Union wieder offen. Die CSU will eine schärfere Asylpolitik. In der CDU werfen manche den Christsozialen vor, sich von Ängsten treiben zu lassen.

Von Stefan Braun

Joachim Herrmann, der bayerische Innenminister, gehört nicht zu den Lauten in seiner Partei. Wo andere in der CSU trommeln, wahrt Herrmann Zurückhaltung. Er erklärt, redet, will Ruhe ausstrahlen. Am Mittwochmorgen allerdings gab er seine Selbstbeschränkung kurz auf. Herrmann wurde erst ruppig, dann so richtig garstig, als ein Radio-Moderator ihm vorhielt, dass es zwischen den Forderungen der CSU und den Anwürfen der Alternative für Deutschland gegen Angela Merkel keine großen Unterschiede mehr gebe. "Das ist Unsinn", schimpfte Herrmann. Und: "Mit dem Unfug der AfD werden wir uns nicht beschäftigen. Mein Thema ist die Sicherheit der Menschen."

Herrmanns Ausflug in das Reich des Zorns zeigt vielleicht am besten, auf welchem Grat die CSU seit Wochen spaziert - und seit dem Anschlag von Berlin noch entschlossener wandelt. Sie ist nah dran an der Kritik der Rechtspopulisten, aber will auf gar keinen Fall mit ihnen in Verbindung gebracht werden. Sie ärgert sich gewaltig, wenn andere dabei Parallelen erkennen, aber will sich auf keinen Fall davon abbringen lassen, nach einer anderen, also strengeren Flüchtlingspolitik zu rufen. Dabei spielt der einzelne Fall keine zentrale Rolle mehr. Die CSU ist ganz grundsätzlich dafür, vieles, wenn nicht alles anders zu machen - unabhängig davon, ob der Täter von Berlin schon feststeht oder nicht. "Im Rahmen des Flüchtlingsstroms", sagte Herrmann am Mittwoch im Deutschlandfunk, kämen derzeit viele Menschen ins Land, "die wir heute als gefährlich einschätzen oder die konkret als Attentäter unterwegs waren". Die Risiken seien offenkundig, die Sicherheitsbehörden würden das jeden Tag berichten. "Davor dürfen wir doch nicht die Augen verschließen." Deutlicher kann kaum mehr werden, dass selbst die Besonneneren in der CSU nicht mehr lockerlassen werden.

Generalsekretär Scheuer kündigt für das neue Jahr denn auch schon neue Vorschläge an - und denkt gar nicht daran zu erwähnen, dass die Bundesregierung das Asyl- und das Aufenthaltsrecht für Flüchtlinge und Asylbewerber in den vergangenen zwölf Monaten schon massiv verschärft hat. Die Richtung steht fest, die CSU wartet allenfalls auf neue Anlässe.

Die große Schwester CDU wehrte sich am Mittwoch gegen die Dauerforderungen aus München. Aber es ist ihr nicht leichtgefallen, dabei stark zu wirken. Thomas Strobl, Parteivize und als Innenminister von Baden-Württemberg für gewöhnlich selbst gerne ein Scharfmacher, mahnte in der Debatte, man möge die Aufklärung abwarten, bevor man neue Schlüsse ziehe. Das passte noch in jene Phase am Dienstag, als der ursprünglich Verdächtige plötzlich nicht mehr unter Verdacht stand; seitdem Berlin und Deutschland aber über einen Nordafrikaner als möglichen Täter sprechen, wird Strobl die Rufe aus Bayern damit kaum mehr abwehren.

Nicht anders verhielt es sich mit Strobls Kollegin Julia Klöckner, ebenfalls stellvertretende CDU-Vorsitzende. Klöckner distanzierte sich erneut von Horst Seehofers Ruf nach einer Obergrenze. Ihr Argument: Selbst eine Obergrenze garantiere nicht, "dass nur Heilige unter den Flüchtlingen wären". Das ist richtig, wird die CSU aber kaum zum Einlenken bewegen. Deutlich schärfer attackierte sie denn auch den AfD-Politiker Marcus Pretzell. Der Lebensgefährte von Parteichefin Frauke Petry hatte getwittert, die Toten von Berlin seien "Merkels Tote". Klöckner erklärte, derlei sei geschmack- und respektlos. "Ich habe den Eindruck", sagte die CDU-Politikerin der Agentur dpa, "die AfD hat nur darauf gewartet, dass etwas passiert, um perfide Kapital daraus zu schlagen." Angesichts solcher Erregung mahnte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), mehr Gelassenheit an. "Ich hoffe, wir behalten in Deutschland die Nerven." Schon jetzt sei klar, dass das Thema bei den Wahlen im nächsten Jahr instrumentalisierbar sein werde.

Julia Klöckner

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(Foto: Krisztian Bocsi/Bloomberg)

Welche Schlüsse zieht man aus Berlin? Die Kontrahenten Julia Klöckner (CDU) ...

Joachim Herrmann

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(Foto: Sven Hoppe/dpa)

... und Joachim Herrmann (CSU).

Gemessen an solchen Sorgen blieb die Opposition bislang ziemlich leise. Was damit zu tun haben könnte, dass Kanzlerin Angela Merkel am Mittwoch auch die verschiedenen Partei- und Fraktionsvorsitzenden zum Gespräch lud. So waren der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter und Parteichef Cem Özdemir im Kanzleramt und erfuhren Neueres zu dem Verdächtigen aus Tunesien, der seit Dienstagnacht von den Sicherheitsbehörden gesucht wird. Beiden ist in diesem Augenblick wohl klar geworden, dass die Unterstützer der Merkelschen Flüchtlingspolitik in den kommenden Monaten keine leichtere Aufgabe haben werden. Sollte der Mann, der als Flüchtling kam, zu einem Gefährder wurde und im November als solcher auf dem Schirm aller Sicherheitsbehörden gewesen ist, wirklich der Täter sein, verbindet er in seiner Person jene Mischung, die für viele Menschen schwer auszuhalten wäre. Am Dienstag hatten Hofreiter und Özdemir mit ihren Co-Vorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und Simone Peter erklärt, es gehe "uns alle an, unsere offene Gesellschaft gegen Hass und Fanatismus zu verteidigen". Ein Satz, der plötzlich wie eine Mahnung klang, bei manchen Flüchtlingen auch selbst genauer hinzuschauen.

Die Minister absolvierten am Mittwoch kaum öffentliche Auftritte, verabschiedeten dafür aber fast im Vorübergehen Gesetzesverschärfungen, die früher Aufregung hervorgerufen hätten, aber nun beinahe selbstverständlich erscheinen. Das Kabinett entschied, die Videoüberwachung auszubauen oder umfassender zu erlauben. Dabei geht es - nach den Erfahrungen mit dem Amoklauf von München - um große private Räume, die öffentlich zugänglich sind. Gemeint sind vor allem Parkhäuser, Stadien und Einkaufszentren, aber auch solche Weihnachtsmärkte, die wegen eines Eintrittspreises umzäunt sind. Hier soll die Überwachung leichter möglich sein.

Am Abend meldete sich noch einmal Joachim Herrmann, der bayerische Innenminister. Er sagte in München, man könne es nicht zulassen, dass "Menschen in unserem Land sind, deren Identität nicht geklärt ist". Er brachte erneut Transitzentren an den Grenzen ins Gespräch, eine alte Forderung der CSU. "Wir werden darauf dringen, wir werden nicht lockerlassen." Und auch aus dem Mordfall in Freiburg möchte er Konsequenzen ziehen. Es dürfe nicht jeder, dessen Alter nicht bekannt ist und der nett aussehe, als Minderjähriger angesehen werden. Wenn es Zweifel gebe, "muss eine medizinische Untersuchung stattfinden". Das geltende Recht erlaube dies.

© SZ vom 22.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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