Kongresswahlen:Sieg der Demokratie

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Die US-Nation erlebte an den Wahlurnen den Aufstand der politischen Mitte: Massenhaft stellten sich unabhängige Wähler gegen ihren Oberbefehlshaber.

Christian Wernicke

Völker, die in Freiheit und Wohlstand leben, zetteln keine Kriege an. Demokratien lieben den Frieden. Diese simple Botschaft hat George W. Bush in seinen fast sechs Jahren als Präsident wieder und wieder verbreitet - vor allem, nachdem er in Saddam Hussein seinen casus belli gefunden hatte. Bushs Vision von einer friedvollen Welt ohne Tyrannen zielte stets auf andere - allen voran auf die Despoten im Nahen und Mittleren Osten. Doch nun, nach 45 zermürbenden Monaten in der Wüste, hat ihn seine Botschaft auf ungewollte Weise eingeholt: Das eigene Volk verweigert Bush die Gefolgschaft, Amerika will raus aus dem Krieg, dem Krieg im Irak.

Die Kongresswahlen verwandelten sich in ein zweifaches Referendum - in eines über Bush und eines über Bagdad. Nur so lässt sich der vorerst einfache, am Ende vielleicht sogar doppelte Sieg der Demokraten im Kampf um Repräsentantenhaus und Senat verstehen. Die US-Nation erlebte an den Wahlurnen den Aufstand der politischen Mitte: Massenhaft stellten sich unabhängige Wähler gegen ihren Oberbefehlshaber. Sie stimmten für eine bisher ohnmächtige (und nach wie vor konzeptlose) Opposition - nicht aus Liebe zur Linken, sondern aus Rache an der Rechten.

Checks and Balances wirken wieder

Die arrogante Ein-Parteienherrschaft der Republikaner nämlich drohte mittlerweile Pfeiler und Prinzipien von Amerikas Regierungssystem zu untergraben. Das Wahlergebnis ist ein Triumph der Demokratie - noch mehr als ein Sieg der Demokraten. Die Wähler haben das übermächtige Weiße Haus in die Schranken der US-Verfassung gewiesen. Fortan wirken wieder die Checks and Balances, die Präsident und Kongress einen steten Ausgleich und eine wechselseitige Kontrolle aller Staatsgewalt abverlangen. Ab sofort muss Bush wie jeder normale Politiker regieren - per Kompromiss und Konsens, nicht nur per Kommando über seine republikanischen Garden.

Der inzwischen graue Präsident muss umlernen - und sich gedanklich verjüngen. In früheren Jahren seiner Karriere, als Gouverneur von Texas, genoss Bush durchaus den Ruf, mit beiden Parteien zusammenzuarbeiten. Doch diese Tugend vergaß er, als er ins Weiße Haus einzog. Von den kurzen, sehr patriotischen Monaten nach dem Schock des 11. September 2001 abgesehen, baute Bush seine Herrschaft allein auf das Fundament einer rechten Basis. Noch am Vortag des 7. November 2006, des nunmehr zweiten Schicksalsdatums seiner Präsidentschaft, verstieg er sich zu Brunnenvergifterei: Falls die Nation den Demokraten folge im Kampf gegen Osama bin Laden und dessen Schergen im Irak, dann, so drohte der Präsident, "gewinnen die Terroristen, und Amerika verliert." Solch üble Attacken muss Bush nun schnell vergessen machen. Der Mann, der sich selbst gern als "der Entscheider" sieht, muss genau dies tun - sich entscheiden.

Besseres Ende per Neuanfang

Er kann fortfahren wie bisher. Dann wird er noch im Spätherbst seiner Dienstzeit das Land per Spaltung regieren und im Irak der Parole seines Vizepräsidenten Dick Cheney folgen: "Volldampf voraus", hin zu einem Vietnam in der Wüste. Das würde der Nation, vor der Flucht aus dem zweiten Saigon, noch viele tote Soldaten abverlangen - und seinen Republikanern eine Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen 2008 bescheren. Oder aber Bush wird aus Schaden klug. Dann dürfte er, als scheinbar gefesselter Präsident, sein allemal besseres Ende per Neuanfang suchen. Daheim brächte er dann mit den Demokraten manch wichtige Reformen voran - und im Irak begänne 2007 der Ausweg per Abzug.

Nicht ob, sondern wann und wie Amerika den Rückmarsch aus dem Irak antritt - das ist nun die Frage. Die andere Option, den islamistischen Terror und religiösen Bürgerkrieg etwa durch eine massive Aufstockung der US-Armee zu ersticken, existiert seit gestern nicht mehr. Diesen Rat seines früheren Außenministers Colin Powell hätte Bush vor drei Jahren beherzigen müssen. Zu spät, nun muss Bush den Krieg seiner Wahl mit jener Truppenstärke zu Ende bringen, die ihm sein Verteidigungsminister Donald Rumsfeld verordnet hat. Der neue Wählerauftrag lautet: Raus aus Bagdad, so schnell wie möglich - und doch so langsam wie eben nötig, um im Irak nicht nur ein Chaos zu hinterlassen, das die gesamte Region in Flammen setzt.

Niemand, weder der Präsident noch die Demokraten, haben dazu einen perfekten Plan. Aber die Richtung ist klar: Amerika wird es den Irakern letztlich selbst überlassen müssen, ihr Land vor einem Bürgerkrieg zu bewahren. Politisch muss die Weltmacht in Washington dabei Geleitschutz bieten. Sie wird dazu in offizielle Verhandlungen mit den bislang verteufelten Regimen in Syrien und Iran eintreten müssen - und sie wird mehr denn je die Hilfe der Europäer benötigen.

Es ist eine horrende Rechnung, die da auf das Weiße Haus zukommt - das faktische Ende der Bush-Doktrin. Die Wirklichkeit im Irak zwingt den Präsidenten, gegenüber einer gemeingefährlichen Macht wie den Mullahs in Teheran auf Regimewechsel und Präventivkrieg zu verzichten. Anders wird im Irak keine Stabilität zu haben sein. Und billiger kann dieser Präsident nach dieser Wahl auch zu Hause keinen Frieden mehr mit Amerikas Volk finden.

© SZ vom 9.11.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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