Konflikte:Türkei will Kampf gegen Gülen noch verschärfen

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Türkische Flaggen und regierungsfreundliche Plakate schmücken einen Bus in Istanbul. (Foto: Tolga Bozoglu)

Istanbul (dpa) - Die türkische Führung will nach Tausenden Suspendierungen und Festnahmen wegen des Putschversuchs den Kampf gegen die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen noch einmal verschärfen.

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Istanbul (dpa) - Die türkische Führung will nach Tausenden Suspendierungen und Festnahmen wegen des Putschversuchs den Kampf gegen die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen noch einmal verschärfen.

Der Nationale Sicherheitsrat beriet mit Vertretern des Kabinetts und des Militärs in einer Sondersitzung in Ankara unter Vorsitz von Präsident Recep Tayyip Erdogan über neue Maßnahmen. Anschließend wollte Erdogan eine Kabinettssitzung leiten. Erdogan hatte eine „wichtige Entscheidung“ angekündigt. Details wurden bis zum späten Nachmittag nicht bekannt.

Vor den Sitzungen hatte Vize-Ministerpräsident Nurettin Canikli nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu gesagt, die neuen Maßnahmen sollten dazu dienen, dass der Staat noch effektiver von Anhängern der Gülen-Bewegung „gesäubert“ wird. Es werde aber „keinen Ausnahmezustand“ oder dergleichen geben. Canikli versicherte, alle Maßnahmen würden sich im Rahmen des Rechtssystems bewegen.

Im Sicherheitsrat sind neben Erdogan und Ministerpräsident Binali Yildirim auch Kabinettsmitglieder und Militärführer vertreten, darunter Armeechef Hulusi Akar. Akar war von den Putschisten aus den Reihen des Militärs gefangen genommen und später befreit worden.

Seit dem Putschversuch mit mehr als 260 Toten geht die Regierung mit harter Hand gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger vor. Zehntausende Staatsbedienstete wurden suspendiert, mehr als 8500 Menschen festgenommen. 24 Fernseh- und Hörfunksendern mit angeblicher Gülen-Nähe wurde die Lizenz entzogen. Erdogan macht Gülen für den Putschversuch aus Teilen des Militärs verantwortlich und fordert die Auslieferung des Predigers, der in den USA lebt.

In der angespannten Lage fürchten Anhänger der pro-kurdischen HDP nach den Worten des deutsch-türkischen Abgeordneten Ziya Pir um ihr Leben. „Sie haben Angst, gelyncht zu werden. Die Stimmung gegen Oppositionelle ist zu aufgeheizt.“ Ein Regierungsvertreter, der anonym bleiben wollte, sagte dagegen: „Es gibt keinen einzigen Fall, wo die Opposition beschuldigt oder sogar angegriffen wurde.“

Pir begrüßte die Niederschlagung des Putsches, „der Gott sei Dank abgewendet wurde. Jetzt erleben wir jedoch leider einen zivilen Gegenputsch. Die Maßnahmen und Säuberungen waren sehr gut vorbereitet“. Er warnte: „Diese Situation wird jetzt ausgenutzt, um unter dem Deckmantel der Komplizenschaft gegen alle Oppositionellen vorzugehen.“ Die Regierung weist diesen Vorwurf scharf zurück.

Der Hochschulrat untersagte Dienstreisen des gesamten Lehrpersonals ins Ausland. Lehrpersonal im Ausland ohne zwingenden Aufenthaltsgrund werde aufgefordert, baldmöglichst in die Türkei zurückzukehren, meldete Anadolu. Staatliche und private Universitäten sollten Mitarbeiter aus dem Lehrkörper überprüfen, ob sie Verbindungen zur Gülen-Bewegung haben, und Verdächtige dem Hochschulrat melden. Das gelte auch für ausländisches Lehrpersonal.

Aus Regierungskreisen hieß es, es handele sich um eine vorübergehende Maßnahme. Damit solle die Flucht von „mutmaßlichen Komplizen der Umstürzler in Universitäten“ verhindert werden. Anadolu meldete, das Verteidigungsministerium untersuche alle Richter und Staatsanwälte der Militärgerichtsbarkeit auf Verbindungen zur Gülen-Bewegung. 262 dieser Richter und Staatsanwälte seien suspendiert worden.

Der Umsturzversuch vom Freitagabend hat auch Forderungen nach der Todesstrafe ausgelöst. Erdogan hat angekündigt, einer Wiedereinführung zuzustimmen, sollte das Parlament eine entsprechende Verfassungsänderung beschließen. Die EU hat gedroht, in einem solchen Fall die Beitrittsverhandlungen mit Ankara zu beenden.

„Erdogan muss uns beim Thema Rechtsstaatsprinzip entgegenkommen, und danach sieht es gerade nicht aus“, sagte der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger in einem Gespräch mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Ich sage (...) voraus, dass wir zum Jahreswechsel noch keine Regelung zur Visafreiheit haben werden“, fügte er hinzu.

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