Der radikale Islam hat für den Publizisten und Politikwissenschaftler Matthias Küntzel zwei Gesichter. Das eine, sagte Küntzel auf einer Konferenz des Mideast Freedom Forum am Wochenende in Berlin, sei sichtbar und menschenverachtend, das andere subtil. Das eine seien die Terroranschläge der IS-Terroristen, die gezielt Vergnügungsorte aussuchten für ihre Massaker. Die Welt, wie sie sie anstrebten, solle sich nicht mehr vergnügen dürfen. Der subtilere Fundamentalismus drücke sich darin aus, dass der iranische Staatspräsident Hassan Rohani vor seinem (weit vor den Attentaten) geplanten Frankreichbesuch mit einer Forderung verband: Es dürfe im Elysee-Palast beim Essen mit Frankreichs Präsident kein Alkohol ausgeschenkt werden.
Küntzel betrachtet das Ansinnen des iranischen Staatspräsidenten, dass außerhalb der Grenzen der Islamischen Republik auch nach islamischen Speiseregeln gelebt werden müsse, als Beleg dafür, wie fundamental (und selbstherrlich) der Islam heutzutage interpretiert werden kann. Der IS hatte seine Attentate unter anderem damit begründet, dass Paris "Europas Hauptstadt des Vergnügens" sei.
Das Mideast Freedom Forum Berlin hatte am Wochenende in Zusammenarbeit mund it dem Institute for National Security Studies (INSS) aus Tel Aviv zu einer Konferenz geladen, die sich im Rahmen des 50-jährigen Bestehens deutsch-israelischer Beziehungen mit der Frage auseinandersetzte: Wie sieht der Westen den Islam? "Leider", sagte Forums-Chef Michael Spaney, "hat unsere Konferenz durch die Terroranschläge in Paris und Mali sehr traurige Aktualität erhalten".
Die Anschläge des Islamischen Staates in Europa zeigten, dass in den vom IS kontrollierten Gebieten "längst eine Intervention des Westens hätte stattfinden müssen". Die Terrorangriffe seien "Anschläge auf unseren Lebensstil". Doch anstatt die Gefahren zu bannen, die durch islamistischen Terror für Europas Freiheit entstünden, "verlangt Brüssel, dass Produkte aus jüdischen Siedlungen im Handel gekennzeichnet werden".
Küntzel, der auch der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik angehört, gilt als Iran-Experte. Er kritisierte die Bundesregierung, weil sie ihre engen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontakte zu Iran stets aufrechterhalten habe - obwohl Irans Verbindungen zur IS- und Hisbollah-Miliz kein Geheimnis sei.
Küntzel hob hervor, dass Leben und Tod komplett verschieden betrachtet würden von westlicher und islamistischer Welt. Er zitierte den Satz von Al-Qaida-Terroristen, die die Anschläge 2004 in Madrid, bei denen 194 Menschen getötet worden waren, mit dem Satz zu rechtfertigen suchten: "Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod."
Die Teilnehmer waren sich einig: Der Westen unterschätzt die Gefahren
Einig waren sich bei der Konferenz der frühere Israel-Botschafter in Berlin, Shimon Stein, Küntzel und der britische Publizist Alan Johnson, dass der Westen die Gefahren, die vom radikalisierten Islam ausgehen, völlig unterschätze. "In Deutschland glaubt man ja gerne", sagte Küntzel, "wenn man nett mit Assad redet, dann wird er auch nett sein". So zu denken halte er für "naiv".
Ex-Botschafter Stein forderte, Deutschland müsse sich daran beteiligen, syrische Oppositionskräfte zu unterstützen, etwa durch die Überwachung einer Flugverbotszone. Mohammad Kamal Allabwani, der die syrische Oppositionsbewegung anführt und heute im schwedischen Exil lebt, forderte ebenfalls von Israel, "aus Eigeninteresse", es möge die syrische Opposition unterstützen.
Viel Verwunderung gab es auf der Konferenz über Deutschlands außenpolitische Zaghaftigkeit. Stein sagte, er ertrage Deutschlands Bemühen kaum, immer politisch korrekt handeln zu wollen. "Wenn der deutsche Außenminister sagt, es gebe keine militärische Lösung für den Konflikt mit IS, dann glaube ich, dass er da falsch liegt." Die Anschläge in Paris zeigten vielmehr, "dass Europa gar nicht so weit entfernt liegt von den Selbstmordanschlägen in Tel Aviv". Europa werde "daher dieselben Antworten finden müssen wie Israel auf den Terror". Zudem müsse Deutschland auch seine Geschäftsbeziehungen zu Saudi-Arabien einstellen, da das Land direkt und indirekt islamistischen Terror fördere.
Der Chefredakteur des britischen Politikmagazins Fathom, Alan Johnson, erklärte, er sei zwar selbst Labour-Anhänger, müsse aber dem britischen Premierminister applaudieren. David Cameron habe "verstanden, dass die Appeasement-Politik gegenüber Diktaturen wie Syrien und Iran falsch ist". Falsch sei auch "die Multikulturpolitik" in Großbritannien in den vergangenen zwanzig Jahren gewesen: "Niemand hat sich dafür interessiert, was die Islamisten eigentlich machen in unserer Gesellschaft."