Kompromiss zum Post-Mindestlohn:Gegrummel vor dem CDU-Parteitag

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Die Einigung der Großen Koalition auf einen Post-Mindestlohn sorgt für viel Gemecker in der Union. Kurz vor dem CDU-Parteitag verteidigen Kanzlerin Merkel und die Ministerpräsidenten Wulff und Müller den Kompromiss gegen innerparteiliche Gegner.

Jens Schneider

Günther Oettinger hat noch eine Rechnung offen. Im Frühjahr, nach seiner unseligen Trauerrede für Hans Filbinger, hatte Angela Merkel den baden-württembergischen Ministerpräsidenten öffentlich harsch getadelt, was der Gerüffelte im vertrauten Kreis später beklagte.

Mehr als ein halbes Jahr später hat Oettinger sich politisch ein wenig erholt. Er hat sich in Stuttgart gefestigt und tritt auch in Berlin wieder selbstbewusster auf. Die Wirtschaftsliberalen in der CDU drängen ihn, er müsse jetzt zu ihrem prominenten Fürsprecher werden. Könnte also Günther Oettinger den Kongress in Hannover zum Tanzen bringen?

Hierfür gäbe es ein schönes Thema. Denn die Einigung der Großen Koalition auf einen Post-Mindestlohn sorgt für gewaltige Unruhe in der Union. Obwohl die Partei den Kompromiss als Erfolg für sich zu reklamieren versucht, entwickelt die Sache im eigenen Lager eine ganz andere Dynamik.

Schon erinnert die Welle der Kritik an den internen Aufruhr über das Antidiskriminierungsgesetz vor achtzehn Monaten. Er bescherte Merkel die erste richtige Krise ihrer Amtszeit. Auch damals sahen manche die ehernen Grundsätze der Partei verraten.

Doch die Kanzlerin ist offenbar gewillt, den Kampf aufzunehmen. Unmittelbar vor dem Parteitag hat sie den Post-Mindestlohn nicht nur verteidigt, sie zeigte sich sogar offen für ähnliche Regelungen in weiteren Branchen. Strikt lehnt Merkel aber nach wie vor eine flächendeckende gesetzliche Lösung ab. Sie sehe es aber mit Sorge, sagte sie am Sonntag im Deutschlandfunk, "dass es ganze Bereiche gibt, in denen überhaupt keine Tarifverträge mehr abgeschlossen werden".

Unterstützung bekam sie am Wochenende von den Ministerpräsidenten Christian Wulff (Niedersachsen), Peter Müller (Saarland) und Wolfgang Böhmer (Sachsen-Anhalt). Wulff sagte der Chemnitzer Freien Presse: "Wir wollen Mindestlöhne - allerdings vorrangig tarifliche Mindestlöhne. Wir wollen, dass die Bürger von ihrer Arbeit leben können und nicht Hartz IV beantragen müssen zur Aufstockung ihres Einkommens."

Böhmer ermunterte die Tarifparteien, "auch für sich selbst verbindlich eine Untergrenze einzuziehen". Und Müller sagte im Deutschlandfunk, Lohnuntergrenzen könnten ein sinnvolles Mittel sein, solange dadurch keine Arbeitsplätze gefährdet würden.

Soziale Gretchenfrage

Genau das ist allerdings die Gretchenfrage. So behauptete etwa der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Jürgen Thumann, am Samstag in der Bild-Zeitung, wenn der Post-Mindestlohn Schule mache und es Mindestlöhne für alle Branchen gäbe, dann seien "etwa fünf Millionen Arbeitsplätze gefährdet".

Wer flächendeckende gesetzliche Mindestlöhne fordere, "der treibe "Zehntausende Menschen in Arbeitslosigkeit", sagte auch das CDU-Präsidiumsmitglied Friedbert Pflüger in einem Interview. Der CDU-Parteitag werde "all denen in der SPD eine Absage erteilen, die den Schalmeientönen des Lafontainismus hinterherlaufen", fügte Pflüger hinzu. Als "ordnungspolitischen Sündenfall" bezeichnete unterdes der CSU-Politiker Hans Michelbach die Post-Regelung.

Michelbach ist auch stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung. Mit den Post-Mindestlöhnen, sagte Michelbach, werde "die Öffnung des Postmarktes unterlaufen - und damit der Wettbewerb".

Der CSU-Vorsitzende Erwin Huber sieht bei Sozialdemokraten und Grünen bereits "eine Revitalisierung des Sozialismus". Mit den Beschlüssen ihres Hamburger Parteitags habe die SPD "eine Rolle rückwärts hinter das Godesberger Programm von 1959 vollzogen", sagte Huber auf dem Bayerischen Mittelstandstag am Samstag in Augsburg.

Unter solchem verbalen Getöse beginnt an diesem Montag der zweitägige Parteitag der CDU in Hannover. Kurz vor den wichtigen Landtagswahlen in Niedersachsen, Hamburg und Hessen im Januar und Februar sollte er eigentlich als eine Art politischer Feldgottesdienst für die Wahlkämpfer inszeniert werden.

Als Hohn wird es deshalb manchen erscheinen, wenn sie am Dienstag - um sich von der SPD abzugrenzen - noch einen Leitantrag des Vorstands verabschieden sollen, der sich gegen Mindestlöhne ausspricht. Richtig passend sei das Timing mit der Einigung über den Post-Mindestlohn vor dem Parteitag nicht gewesen, frotzelte ein Unions-Spitzenmann.

Einen anderen potentiellen Konflikt hat Generalsekretär Ronald Pofalla bereits zu entschärfen versucht: die Debatte über das Betreuungsgeld. Nicht etwa, indem sich die Parteispitze für eine Richtung entschied, sondern, indem sie einfach beide gelten lässt, selbst wenn sich dafür ihre prominentesten Köpfe - wie die Familienministerin Ursula von der Leyen - verleugnen müssen.

Die Familienministerin hat sich in den vergangenen zwei Jahren im Auftrag der politischen Modernisierung immer wieder auf heikles Terrain gewagt, meist nur insgeheim unterstützt von der Kanzlerin, aber doch der Rückenstärkung Merkels gewiss. Sie hat das in der CDU umstrittene Elterngeld durchgesetzt und dann die fehlenden Betreuungsplätze für die Kleinkinder auf die Agenda der Großen Koalition gesetzt.

Zu selbstbewusster Stil

Nicht nur wegen der politisch modernen Inhalte hat sie die konservativen Parteifreunde verärgert. Vor allem ihr selbstbewusster Stil hat Kabinettskollegen und viele in der Bundestagsfraktion, bis hinauf zum Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder nachhaltig erbost. Der empfindet es als Unverschämtheit, dass von der Leyen ihre Vorstöße oft nicht abstimmt.

Mit Argwohn wird in der Fraktion auch verfolgt, dass in ihrem Ministerium noch immer sozialdemokratische Fachleute aus der Amtszeit der Vorgängerin Renate Schmidt die Ausrichtung mitbestimmen. In der Fraktion und in konservativen Landesverbänden brennt bei manchen eine gallige Sehnsucht, von der Leyen öffentlich auszubremsen.

Dabei haben auch die Konservativen bekommen, was sie wollten: Die Forderung nach einem Betreuungsgeld für Eltern, die sich allein um ihre Kleinkinder kümmern wollen, soll ins neue Grundsatzprogramm aufgenommen werden.

Bis zu acht Stunden Debatte erwartet Generalsekretär Pofalla über das Programm. Mit der Entladung einer Wutwelle muss Merkel aber nicht rechnen. Günther Oettinger hat immerhin schon gesagt, er bleibe "sehr skeptisch" gegenüber einer Einführung von Mindestlöhnen in vielen weiteren Branchen.

Richtig fürchten muss die Kanzlerin derzeit aber niemanden, alles ist auf sie ausgerichtet. In so einer Situation ist es dann wirkungsvoller, wenn einer gleich ganz wegbleibt. Der frühere Fraktionschef Friedrich Merz dürfte in Hannover so präsent sein wie zuletzt beim Leipziger Reformparteitag, wo er als Vater der Bierdeckel-Steuer gefeiert wurde - in Abwesenheit: Nach dem Beschluss der Koalition zum Post-Mindestlohn hat er sehr bewusst bekannt werden lassen, dass er zum ersten Mal seit vielen Jahren nicht zum Parteitag kommen werde.

© SZ vom 03.12.2007/aho - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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