Kommunalwahlen:Sturm auf die roten Hochburgen

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Italiens Rechte erringt in mehreren Städten historische Siege. Doch für die Macht in Rom fehlt ihr die Einigkeit. Ein anderer alter Bekannter geht lieber in Deckung.

Von Oliver Meiler

Auch mit 80 Jahren zieht Silvio Berlusconi wieder durch die Talkshows - und schüttelt dabei auch mal einen Hund durch. (Foto: Remo Casilli/Reuters)

Genua ist gefallen, laut und krachend. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatte Italiens Linke die Hafenstadt im Nordwesten regiert. Sie war eine ihrer wichtigsten Hochburgen, ein "fortino rosso", wie die Italiener es nennen, eine rote, antifaschistische Festung. Sie fiel am Sonntagabend, kurz vor Mitternacht. Die Rechte feierte ihren historischen Sieg bei der Kommunalwahl tanzend und singend auf der Piazza Piccapietra, im Zentrum Genuas. "Wer nicht springt, ist ein Kommunist", intonierten ihre Anhänger. Natürlich gibt es auch in Italien nicht mehr viele richtige Kommunisten. Und Ergebnisse von Kommunalwahlen lassen sich nur beschränkt national deuten, zumal wenn es nur partielle waren wie diesmal. 1004 Städte und Gemeinden haben ihre Bürgermeister neu gewählt. Doch ist der Fall von Genua auch ein Fanal für das große Ganze der italienischen Politik. Sie schüttelt sich zum Schluss der Legislaturperiode neu. Regulär werden die Italiener im kommenden Frühjahr ein neues Parlament wählen, vielleicht aber auch früher. Die Gemeindewahlen waren also der letzte große Stimmungstest.

Es ziehe ein neuer Wind durch das Land, heißt es jetzt, eine rechte Brise. Die Koalition des "Centrodestra", die sich aus der bürgerlichen Partei Forza Italia, der rechtspopulistischen Lega Nord und den postfaschistischen Fratelli d'Italia zusammensetzt, hatte jahrelang im Schatten der Großkonfrontation zwischen den Sozialdemokraten und der Protestbewegung Cinque Stelle gestanden. Jetzt aber gewannen die Rechten die meisten Stichwahlen, im Norden wie im Süden. Neben Genua eroberten sie auch die Mailänder Industrievorstadt Sesto San Giovanni, bisher auch "Stalingrado" genannt. Und in La Spezia, ebenfalls eine vermeintlich ewige Gewissheit der Linken, gewannen sie auch.

Genua aber gilt als Trophäe und Modell. Die Rechte trat dort mit einem Manager an, der zuvor lange in Amerika gearbeitet hatte. Mit seinen vielen Anglizismen klang Marco Bucci modern, er versprach Recht, Ordnung und viele neue Jobs. Erstaunlich an seiner Kandidatur aber war, dass alle Komponenten des "Centrodestra" ihn unterstützten, in seltener Einigkeit.

National dürfte eine solche Harmonie jedoch an der Unvereinbarkeit der beiden Hauptfiguren scheitern: Silvio Berlusconi von Forza Italia und Matteo Salvini von der Lega Nord können sich nicht leiden. Beide sehen sich als Siegesmacher, beide wären gerne Chef des ganzen Lagers. Ihre politischen Linien kreuzen sich aber kaum. In Europafragen hält es Salvini mit seiner Duzfreundin und EU-Gegnerin Marine Le Pen, während Berlusconi die Wahlsiege des EU-Freundes Emmanuel Macron in Frankreich bejubelte und sich neuerdings wieder enger an die Europäische Volkspartei schmiegt. Wie soll sich das vertragen?

Verspürt deutlichen Gegenwind: In keiner größeren italienischen Stadt gelangte ein Bürgermeisterkandidat von Beppe Grillos Cinque-Stelle-Bewegung in die Stichwahl. (Foto: Antonio Melita/dpa)

Der neue Wind weht eine weitere wichtige Frage herbei: Ist Matteo Renzi noch der richtige Mann der linken Mitte, des "Centrosinistra"? Der frühere Premier und Vorsitzende des Partito Democratico nahm sich auffallend zurück bei diesen Kommunalwahlen - so absehbar war das Debakel. Vielleicht hätte sein Auftritt den Kandidaten sogar eher geschadet. Nach der Niederlage sagte er zu den Seinen lakonisch: "Es hätte besser laufen können."

Renzi ist noch immer der talentierteste Politiker der Linken mit dem größten Charisma. Doch offenbar hat er die Italiener ermüdet mit seiner Art, dieser süffisanten Selbstverklärung, dem Aneinanderreihen von Werbespots. Nachdem er im vergangenen Dezember das Referendum über seine Verfassungsreform verloren hatte, dachte man, der junge Toskaner besitze die Kraft, einen neuen Ton zu finden, eine neue Geschichte für Italien. Doch stattdessen streitet er sich noch immer lieber mit den Kritikern in der eigenen politischen Familie.

So kommen nun sogar Stimmen auf, die nach einer Rückkehr von Romano Prodi rufen. Der frühere Premier ist jetzt 77 Jahre alt und damit nur vier Jahre jünger als seine ewige Nemesis, Silvio Berlusconi, den er einst zweimal besiegen konnte. Prodi fühlte sich gebauchpinselt ob der Anfrage, ließ aber ausrichten, er lebe das Leben eines "glücklichen Pensionärs", als Spitzenkandidat sei er nicht mehr verfügbar. Allenfalls vermittle er ein bisschen. Renzi geht nur schon das Gerede um den alten Granden auf die Nerven.

Hielt sich erkennbar zurück: Der Chef der Sozialdemokraten, Matteo Renzi, spielte im Wahlkampf kaum eine Rolle - vielleicht weil sich die Niederlage seiner Partei früh abzeichnete. (Foto: Andreas Solaro/AFP)

Gegenwind verspürt nun auch Beppe Grillo, der Gründer und "Garant" der Cinque Stelle, wie sie den Chef bei der Protestbewegung nennen. Grillo kommt aus Genua, seine Partei wurde dort groß. Dass es sein Favorit, ein Opernsänger, nicht einmal in die Stichwahl seiner Stadt geschafft hat, ist für Grillo mindestens so schmerzhaft, wie es der Verlust des "fortino" für die Linke ist. In keiner größeren Stadt brachten es die Fünf Sterne in die zweite Wahlrunde. In Parma feierte ein prominentes Ex-Mitglied sogar eine eindrückliche Revanche: Federico Pizzarotti, den Grillo vor einem halben Jahr aus der Partei geworfen hatte, weil er Kritik übte und pragmatisch regiert, wurde nun klar im Amt bestätigt. Ganz ohne Hilfe, als "Anti-Grillo". Das dürfte dem Original zu denken geben.

In anderen Städten offenbaren die Cinque Stelle dagegen ihre Mühe beim Regieren, vor allem in Rom. Es mangelt an Kaderleuten und Expertise, mitunter auch an Moral. Im Volk wächst der Eindruck, die "Grillini" seien in Wahrheit nicht viel besser als die etablierten, oft beschimpften Parteien.

In landesweiten Erhebungen stehen die Fünf Sterne aber immer noch hoch in der Gunst der Italiener. Die Demoskopen schätzen ihre Stärke auf 30 Prozent. Etwa gleich stark sollen Renzis Sozialdemokraten sein. Addiert man Berlusconis Quote mit jener Salvinis, kommen auch sie auf 30 Prozent. Drei Pole, alle ungefähr gleich stark. Wenn sich nicht bald neue Allianzen bilden, dann droht Italien ein Patt bei den Wahlen, eine Zeit der Fragen und der Unregierbarkeit.

© SZ vom 27.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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