Kommunalpolitik:"Auch in einer Demokratie passieren Fehler"

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Tatjana Cyrulnikov (CDU) bei einer Sitzung zur Abwahl des bisherigen Ortsvorstehers, Stefan Jagsch von der NPD. (Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

In Altenstadt haben sie eine politische Panne korrigiert: Tatjana Cyrulnikov ist die neue Ortsvorsteherin und damit Nachfolgerin eines NPD-Mannes.

Interview von Sophie Aschenbrenner

Anfang September wurde die hessische Gemeinde Altenstadt bundesweit bekannt - der NPD-Kandidat Stefan Jagsch wurde mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP einstimmig zum Ortsvorsteher gewählt. Angeblich, weil es keinen Gegenkandidaten gab. Die Gegenreaktionen fielen heftig aus. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak bezeichnete die Wahl als "Schande", SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte, die Wahl sei "unfassbar und mit nichts zu rechtfertigen". Am Dienstag nun wurde Jagsch abgewählt. Seine Nachfolgerin ist Tatjana Cyrulnikov. Die 23-Jährige ist Mitglied des Ortsbeirates und Vorsitzende der Jungen Union im Wetteraukreis, in dem die Gemeinde Altenstadt liegt. Bei der Wahl von Jagsch vor sechs Wochen hatte sie entschuldigt gefehlt.

SZ: Ihre Wahl ist Ergebnis eines politischen Skandals. Wie konnte es passieren, dass Stefan Jagsch gewählt wurde?

Tatjana Cyrulnikov: Als Stefan Jagsch gewählt wurde, haben vielleicht nicht alle richtig über die Konsequenzen nachgedacht. Wir sind alle keine Berufspolitiker. Als ihnen bewusst wurde, was passiert war, waren viele schockiert. Niemand von uns unterstützt die politischen Ansichten der NPD.

Sie waren bei der Wahl aus persönlichen Gründen nicht dabei. Was haben Sie gedacht, als Sie vom Ergebnis gehört haben?

Ich war geschockt und wollte es erst nicht glauben. Stefan Jagsch und seine Partei vertreten Werte, die zum großen Teil verfassungsfeindlich sind. Aber auch in einer Demokratie passieren Fehler, und ich bin sehr froh, dass wir diesen Fehler jetzt auf rechtlich korrektem Weg korrigieren konnten.

Ihr Parteikollege Norbert Szielasko hat die Wahl Jagschs damit begründet, dass dieser einen Computer bedienen und Mails verschicken könne. Das klingt absurd.

Das stimmt. Sagen wir so: Herr Szielasko ist in seinem hohen Alter nicht sehr technikaffin. Tatsächlich können die meisten von uns Mails verschicken.

Eine andere Erklärung für die Wahl von Jagsch war , dass es einfach zu wenige junge Menschen gebe, die sich in der Kommunalpolitik engagieren.

Es stimmt, dass ein Ehrenamt Kraft und viel freie Zeit kostet. Aber ich finde es wichtig, Verantwortung zu übernehmen, deshalb bin ich der Jungen Union und später auch der CDU beigetreten. Wenn Menschen sich immer nur beschweren, aber sich nicht einsetzen, dann verstehe ich das nicht. Mein Ziel ist es, mehr Menschen für das politische Ehrenamt zu begeistern, vor allem junge Menschen. Das ist so wichtig. Wir suchen händeringend Freiwillige.

Nach der Wahl konzentrierte sich die Aufmerksamkeit schnell auf Sie als Person. Wie haben Sie die vergangenen Wochen erlebt?

Das war eine anstrengende und aufregende Situation für mich. Ich habe viele positive Rückmeldungen bekommen, vor allem aus der eigenen Partei und der Jungen Union. Es gab aber auch Menschen, die sich über mein Alter aufgeregt und sagten, ich sei noch viel zu jung. Ich hätte nichts verloren auf dem Posten der Ortsvorsteherin.

Was entgegnen Sie diesen Menschen?

Ich finde das absurd. Wir leben alle in einer Gesellschaft zusammen. Wieso sollte ich keine gute Ortsvorsteherin sein, nur weil ich erst 23 bin?

Sind Sie von Seiten der NPD direkt angefeindet worden?

Nein, zum Glück nicht. Bei der Wahl selbst gab es aber schon Tumulte, nicht alle waren begeistert davon, dass ich gewählt wurde. Eine Frau aus dem Publikum sprach von "Wahlmanipulation". Aber ich habe dann entgegnet, dass es eben ein politisches Umdenken gegeben habe.

Offenbar plant Jagsch, gegen die Abwahl zu klagen. Macht Ihnen das Sorgen?

Ich will ihm sein Recht zu klagen nicht absprechen, aber ich bin mir sicher, dass er damit keinen Erfolg haben wird. Seine Abberufung war korrekt. Für mich persönlich ist das Thema jetzt erst einmal abgeschlossen. Ich will mich auf die inhaltlichen Aufgaben konzentrieren und bin sehr motiviert.

Was sind die ersten Themen, die Sie angehen wollen?

Das klingt jetzt sehr klein, aber den Menschen ist es zum Beispiel wichtig, dass die Spielplätze in einem guten Zustand sind und die Rasenflächen im Ort gemäht werden. Daran mangelt es aktuell leider. Diese Sachen sind wichtig, da sie die Bürger direkt betreffen und dazu beitragen, dass sich die Menschen in Altenstadt wohlfühlen. Ich würde auch gerne Schilder am Ortseingang aufstellen, die die Menschen im Ort willkommen heißen.

© SZ vom 25.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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