Kommentar:Weder laute Rechthaberei noch stille Feigheit

Lesezeit: 2 min

Außenminister Steinmeier täte gut daran, beim USA-Besuch auch Kritik selbstbewusst vorzutragen.

Christian Wernicke

Keine Bange, sie werden nett zu ihm sein. Freundlich lächeln wird Condoleezza Rice, wenn ihr neuer Kollege aus Deutschland am Dienstag zum Antrittsbesuch in Amerikas Außenministerium hastet.

Auch später im Weißen Haus, wo Frank-Walter Steinmeier die engsten Sicherheitsberater von Präsident George W. Bush trifft, wird es zugehen, wie es sich ziemt unter Freunden: nice, lieb und sehr höflich.

Natürlich, als Nachfolger von Joschka Fischer hätte sich diese US-Regierung eher einen anderen gewünscht als ausgerechnet den Intimus von Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Dem lästigen Irakkrieg-Rebellen trauert in Washington kaum jemand nach.

Aber erstens wurden die Bush-Leute nicht gefragt. Und zweitens werden sie ihre Sorge, da sei ihnen ein vom Schröder-Virus infizierter Vogel ins atlantische Nest gesetzt worden, höflich verschweigen. Denn, drittens, gilt: Die Regierung am Potomac muss derzeit nehmen, was und wen auch immer sie kriegen kann. Heimische Skandale, vor allem aber das Desaster im Irak, haben den Präsidenten in die Defensive getrieben.

In solch miserabler Lage muss selbst die stärkste Macht der Welt bemüht sein, Verbündete nicht zu verschrecken. Washington weiß, wo in Berlin die Linie des Unmöglichen verläuft. "Zumutungen irgendwelcher Art" - also eine US-Bitte um Entsendung deutscher Soldaten nach Bagdad - möge man ihm ersparen, hat Steinmeier bekundet.

Ähnliche Signale sandte auch Angela Merkel aus, da gehorcht die Kanzlerin ganz dem Volkswillen. Umgekehrt jedoch erstaunt die Leisetreterei, mit der die neue schwarz-rote Regierung auf Berichte über geheime CIA-Lager und vermutliche Folter in Europa reagiert. Obwohl der US-Geheimdienst seine menschliche Fracht auch über deutsche Flughäfen verschiffte, schweigt das offizielle Berlin.

"Nicht wünschenswert"

Andere EU-Hauptstädte äußern sich da selbstbewusster. Und prinzipientreuer. Merkel und Steinmeier zaudern. Sie empfinden wohl als Bürde, wie der Irak-Krieg die deutsche Wahrnehmung der ehemaligen Schutzmacht verändert hat. Die Demoskopen sagen, dass inzwischen sechs von zehn Bundesbürgern eine US-Führungsrolle in der Welt für "nicht wünschenswert" halten.

Daran mag Steinmeier gedacht haben, als er vorige Woche seine Diplomaten mahnte, längst seien ¸¸Außen- und Innenpolitik keine getrennten Sphären" mehr.

Das stimmt. Nur, was folgt daraus? Wohl kaum weniger als dies: Berlin muss die Deutschen vom Wert einer Partnerschaft mit den USA neu überzeugen - und Washington beweisen, dass die Zusammenarbeit mit den Deutschen nach wie vor ihren besonderen Wert hat.

Hohle Treueschwüre auf die transatlantische Wertegemeinschaft helfen ebenso wenig wie laute Rechthaberei oder stille Feigheit vor dem Freunde. Nüchterne Kaltblüter wie Merkel und Steinmeier sollten den einzigen Ausweg erkennen können: Sie müssen, um deutschen Einfluss in Washington zu mehren, erst über Brüssel gehen - um dann, vereint mit den USA, jene Gefahren anzupacken und Interessen zu verfolgen, die "den Westen" einen. Die Bush-Regierung hofft auf solcherlei europäische Führung der Deutschen.

Präsident Chirac ist abgeschrieben, der vasallentreue Blair scheint verbraucht zu sein. Ob im Nahen Osten oder in Afghanistan, ob im Umgang mit Irans obskurem Atomprogramm oder beim Versuch, die weltweiten Handelsgespräche zu retten - überall setzt Washington auf Berlin. Doch die Deutschen, verfangen in ihrer eigenen Malaise, können das allein niemals bewältigen. Deutschland braucht, will es tatsächlich "Partner auf Augenhöhe" sein, eine solide Trittleiter.

Das Mandat, sich so zu erhöhen, muss Berlin erst bei den Verwandten in Europa erwerben. Kritik an den CIA-Lagern, vorgetragen als europäische Sorge und ohne teutonischen Zeigefinger, würde da nicht schaden. Weder in Brüssel noch in Washington.

© SZ vom 28.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: