Kommentar:Vorteil Israel

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Mit dem Gaza-Abzug setzt der israelische Premier Scharon die Palästinenserführung unter Druck. Die Palästinenser müssen nun beweisen, dass sie dazu fähig sind, einen Staat zu gründen.

Thorsten Schmitz

Mehr als ein Jahr lang wurden in Israel sämtliche Szenarien des Gaza-Rückzugs durchgespielt: dass er überhaupt nicht stattfinden würde, weil die rechtsnationale Likud-Partei Regierungschef Ariel Scharon geschlossen die Gefolgschaft verweigern würde, dass er nach den ersten Todesopfern abgebrochen werden müsste, dass er in einem Bürgerkrieg enden würde.

Die Vorab-Hysterie hat sich als unbegründet erwiesen. Binnen einer Woche ist es den israelischen Soldaten gelungen, 8000 jüdische Siedler und 5000 radikale Abzugsgegner aus den 21 Siedlungen im Gaza-Streifen zu entfernen.

Die überraschende Leichtigkeit, mit der ein israelischer Regierungschef jüdische Siedlungen nicht in Monaten, sondern in ein paar Tagen evakuieren lässt, versetzt Israel in eine politisch bessere Lage und drängt Palästinenser-Präsident Machmud Abbas dazu, gegen die Terrorgruppen in der eigenen Bevölkerung vorzugehen.

Image aufgebessert

Glückwünsche und Lob internationaler Staatschefs reißen nicht ab, im September will Scharon gar vor der israelkritischen Vollversammlung der Vereinten Nationen sprechen. Die weltweit positiven Reaktionen polieren Scharons Image auf - wie von ihm beabsichtigt.

In Zukunft wird man ihn nicht mehr nur mit den Massakern in den libanesischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila in Verbindung bringen, sondern auch mit der mutigen Konfrontation mit seiner Klientel, den Siedlern.

Fünf Jahre nach Beginn der zweiten Intifada ist Scharon nun in einer bequemen Lage. Er kann sich zurücklehnen und zu dem Palästinenser Abbas sagen: "Ich habe den Konflikt mit meinen Extremisten gewagt, nun bist du dran."

Mit dem Rückzug bricht Scharon auch mit der jahrzehntelang in Israel als sakrosankt geltenden Formel "Land für Frieden". Er überlässt den Palästinensern Gaza ohne Friedensabkommen, er bekommt nicht einmal eine Garantie für ein Ende des palästinensischen Terrors. Dabei trennt er Israel von den Gaza-Palästinensern, weil er den Palästinensern nicht traut.

Deal mit Bush

Erst vergangene Woche bekräftigte Scharon sein Misstrauen gegenüber der arabischen Welt und sagte, er habe eine Vereinbarung mit den USA getroffen. Er ziehe einen Deal mit den Amerikanern einer Abmachung mit den Arabern vor.

In einem Brief vom April 2004 hatte US-Präsident George W. Bush Israel versichert, es könne die Siedlungsblöcke im Westjordanland bei einem künftigen Friedensabkommen mit den Palästinensern behalten. Mit dem Gaza-Abzug unterstützt Scharon zugleich Bush bei dessen Versuch, die arabische Welt zu demokratisieren.

Die Bilder weinender Siedler, die seit Tagen auch über Fernsehschirme arabischer Haushalte flimmern, widersprechen dem Bild des landnehmenden jüdischen Besatzers, das die Islamisten stets verbreiten. Dennoch bleibt die Frage, weshalb die Palästinenser an den israelischen Kontrollpunkten von Soldaten nicht genauso behutsam und zuvorkommend behandelt werden können wie gewalttätige - jüdische - Siedler.

Die Palästinenser müssen nun beweisen, dass sie dazu fähig sind, einen Staat zu gründen. Mit internationaler Hilfe muss Abbas den verarmten und überbevölkerten Gaza-Streifen verwandeln und dem Vorbild erfolgreicher Kleinstaaten wie Singapur nacheifern.

Dies kann nur gelingen, wenn er die islamistische Diktatur der Terrorgruppen Hamas und Islamischer Dschihad bricht. Abbas aber will die Terrorgruppen einbinden, nicht zerstören. Auch deshalb hat Scharon Abbas als Partner aufgegeben. Indem er nun die Siedler und Soldaten aus dem Gaza-Streifen zurückzieht, versetzt der Ex-General Israel in eine militärstrategisch günstigere Lage: Die Front ist nun kürzer. Auch hat er den Gaza-Streifen geopfert, um die sechs großen Siedlungsblöcke im Westjordanland sowie jene im Jordantal und in Jerusalem zu behalten - und auszubauen.

Der Schutzwall gibt die Grenzen vom künftigen Staatsgebiet Israels und Palästinas vor, auf dessen Gestalt sich Bush und Scharon verständigt haben. Er umschließt die sechs jüdischen Bevölkerungszentren und schlägt sie dem Kernland Israels zu.

Jene versprengten Siedlungen, die östlich des Zauns liegen, werden vermutlich zum Ende von Bushs Amtszeit ebenfalls geräumt werden, um Israels Ansehen zu bessern. Die Mehrheit der 200.000 Siedler im Westjordanland und jener 200.000 im arabischen Ostteil Jerusalems wird aber bleiben.

Mit der Aufgabe Gazas nimmt Israel Abschied vom Streben nach einem "Groß-Israel" und verweist die Siedlerbewegung und ihre messianische Fehldeutung des Zionismus in ihre Schranken. Ob der Abzug aber den Friedensprozess fördern wird, bleibt fraglich.

Palästinenser wie Israelis werden schon bald mit Wahlkämpfen beschäftigt sein, in denen die diplomatischen Beziehungen einfrieren. Scharon wird womöglich eine neue Partei gründen müssen, wenn sein Rivale Benjamin Netanjahu die Likud-Führung übernimmt.

Aber auch die Gefahr einer dritten Intifada schwebt über der Region. Denn die einzige Lektion, die die palästinensischen Terrorgruppen aus dem bedingungslosen israelischen Abzug gezogen haben, ist einfach: Nach fünf Jahren der Gewalt hat Israel den Gaza-Streifen aufgegeben, das gleiche Ziel soll nun eine dritte Intifada im Westjordanland erreichen.

© SZ vom 23.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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