Kommentar:Fehlkalkulation in Gaza

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Mit einer Ausweitung der israelischen Militäraktion will Israel offiziell einen von Hamas-Militanten gefangenen israelischen Soldaten retten. Israel will aber auch mit den Hamas-Islamisten abrechnen - und würde damit den Entführten gefährden und die Hamas stärken.

Tomas Avenarius

"Hamas muss begreifen, dass wir ihr nicht gestatten, noch länger Amok zu laufen." So begründet Israels Innenminister Roni Bar-On den Einsatz der Armee. Wie ernst es Israels Regierung meint, zeigt sich an dem, was im Gazastreifen passiert: Die Armee beschießt das Palästinensergebiet, zerstört die Infrastruktur und setzt die Hamas-Regierung mit einer Wirtschaftsblockade unter Druck.

Offizieller Anlass ist das Schicksal eines von Hamas-Militanten gefangenen israelischen Soldaten. Die Entführer fordern für Korporal Gilad Schalit die Freilassung Hunderter in Israel einsitzender Palästinenser. Klar aber ist, dass es Israels Regierung nicht allein um das Leben eines ihrer Soldaten und Bürger geht. Israel will mit den Hamas-Islamisten abrechnen.

Vielleicht überschätzt Regierungschef Ehud Olmert seine Möglichkeiten. Derzeit belässt er es bei Drohgebärden: Der Beschuss eines Regierungsgebäudes in der Tiefe der Nacht zeigt, dass er Hamas-Regierungschef Ismail Hanija zumindest derzeit nicht töten lassen will.

Übermittelt wurde eine Botschaft: Wenn der Soldat nicht freikommt, gerät die Hamas-Führung ins Visier. Aber Israels Möglichkeiten sind eingeschränkt. Eine Entschärfung der Krise durch einen Gefangenenaustausch zeichnet sich trotz internationaler Vermittlung nicht ab.

Die Militanten haben ihre Forderungen zum Gefangenenaustausch absurd hochgeschraubt; Israel hat deswegen diese Forderungen auch bereits abgelehnt. Eine Befreiungsaktion mitten in Gaza durch ein israelisches Spezialkommando erscheint als wenig realistisch.

Eine rasche Invasion des Gaza-Streifens würde dem Soldaten noch weniger helfen; er würde dann wohl von den Militanten ermordet werden.

Zudem stehen in Gaza gut bewaffnete Kämpfer bereit, die im Falle einer israelischen Bodenoperation ihrerseits attackieren würden. Die Militanten verbreiten, sie würden weitere Soldaten entführen und auch Selbstmordattentäter ins Gefecht schicken.

Bevölkerung hinter der Hamas

Auch wenn man die militärische Stärke der Palästinenser-Gruppen nicht überschätzen sollte: Eine Fehlkalkulation in Gaza kann Israel beträchtlichen Blutzoll kosten. Fast sicher ist, dass sich die unter einer Militäraktion leidende Bevölkerung hinter den radikalen Hamas-Kräften sammeln würde.

Alle Friedenspläne, von der inzwischen fast wertlosen "Roadmap" bis hin zum jüngst von Fatah und Hamas unterzeichneten Kompromisspapier zur Zweistaatenlösung wären ebenfalls vom Tisch. Offen bleibt auch, wie sich der Rückzug der Armee gestalten könnte.

Israels Truppen haben den Gazastreifen nicht vor einem halben Jahr verlassen, um sich nun dort wieder einzugraben. Die Armee müsste aber erkennbare Erfolge im Kampf gegen die Militanten vorweisen, bevor sie wieder abrückte. Die Zerstörung von Brücken und einem E-Werk sind keine solchen Erfolge.

Realistisch betrachtet kann Israels Armee die militanten Strukturen mit einer Kurzzeitinvasion nicht vollständig vernichten. Der derzeit einzig erkennbare Grund einer Besetzung liegt darin, dass Olmert die Hamas-Regierung wirklich mit militärischen Mitteln des Amtes entheben will.

Wohl auch deshalb steigt außerhalb des Gaza-Streifens der Druck. Hauptangriffspunkt ist Syrien. Damaskus gewährt der Hamas-Auslandsführung seit Jahren Exil und benutzt die palästinensischen Extremisten als Instrumente.

Israel macht Staatschef Baschar al-Assad mitverantwortlich für das Schicksal des gefangenen Soldaten; die USA fordern flankierend die Ausweisung der Hamas-Auslandsführung aus Syrien. Die Hamas-Führer könnten dann allenfalls noch nach Iran.

Angesichts all dessen stellt sich die Frage, ob Israel wirklich einen politisch durchdachten und militärisch realistischen Plan hat. Im Moment sieht es so aus, als ob sich Jerusalem in die Gefahr einer schwerwiegenden Fehlkalkulation begibt.

© SZ vom 3.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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