Kommentar:Erst er, dann sie

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Mit einem Kanzler-Splitting könnte Deutschland zu einer stabilen Regierung kommen.

Heribert Prantl

Eine Bundestagswahl ist nicht Heinerles Wundertüte, bei der Merkel und Schröder außen aufgedruckt sind, in deren Inneren sich aber andere Figuren verbergen - zum Beispiel Steinbrück und Koch. Der Wahlkampf war geprägt vom Kanzler und der Kandidatin; es wäre nun unlauter und undemokratisch, eine große Koalition von Politikern aus der Provinz anführen zu lassen, mit denen die Wähler sich nicht beschäftigt und die sie nicht gewählt haben, ja die sie womöglich nicht einmal richtig kennen. Das bedeutet: Schröder und Merkel sind die natürlichen und demokratisch legitimierten Anführer der sich anbahnenden großen Koalition.

Schröder steht in seiner Partei stabiler da als Merkel in ihrer. Solange die SPD ihn auf dem Schild trägt, wird die Union sie aus Prestigegründen nicht fallen lassen. Sollte aber Schröder vom Schild springen, würde die Union Angela Merkel aus dem Spiel nehmen. Ihr Schicksal hängt also von Schröder ab, die beiden sind eine Schicksalsgemeinschaft.

Salomonische Lösung

Was im Negativen gilt, gilt aber auch im Positiven: Ein starker Schröder stärkt Merkel. Sie kann sich stabilisieren und aufsteigen, wenn sie sich mit Schröder auf die Aufteilung der Kanzlerschaft einigt: Schröder beginnt als Kanzler mit einer Vizekanzlerin (und Außenministerin) Merkel, übergibt dann im Frühjahr 2007 die Amtsgeschäfte an sie. Dieses Kanzler-Splitting wird den Merkel-Konkurrenten in der Union nicht gefallen, weil sie ihre Felle davonschwimmen sehen, aber es ist eine salomonische Lösung.

Das Kanzler-Splitting lässt sich im Koalitionsvertrag niederlegen, es hat aber keine rechtliche Verbindlichkeit. Man kann die Abgeordneten nicht verpflichtend darauf festlegen, man kann den Kanzlertausch auch nicht in Karlsruhe einklagen - es handelt sich sozusagen um eine Naturalobligation: politisch verbindlich, rechtlich nicht durchsetzbar, auf gegenseitigem Vertrauen basierend.

Das Vertrauen muss sich also aus den sonstigen Vereinbarungen und Bedingungen ergeben: Erstens daraus, dass der Kanzlerwechsel schon nach einem guten Drittel der Legislatur, nicht erst nach der Hälfte vollzogen werden soll. Zweitens, dass er in eine Zeit fällt, in der Deutschland die Ratspräsidentschaft in der EU führt: Der Kanzlerwechsel würde quasi auf dem EU-Gipfel zelebriert. In einer solchen Zeit macht man keine parteipolitischen Fisimatenten.

Traum der WM-Eröffnung

Das Zeitschema hätte einiges für sich: Im Jahr 2006 führt Deutschland den Vorsitz in der G7/ G8, also der Gemeinschaft der wichtigsten Industrieländer. In diesem Kreis ist Schröder Routinier. Er könnte die deutsche EU-Ratspräsidentschaft konzentriert vorbereiten, in deren Mitte dann der Kanzlerwechsel auf eine mittlerweile eingearbeitete Angela Merkel stünde.

Und Schröder säße fortan im sozialdemokratischen Olymp neben Willy Brandt - und freute sich über die Erfüllung eines Traums: Er durfte 2006 als Kanzler die Fußball-Weltmeisterschaft eröffnen.

© SZ vom 26.09.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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