Kommentar:Energie macht abhängig

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Dem Energie-Junkie hilft nur eins: eine stramme Entziehungskur, eine Abkehr von knappen Rohstoffen und von deren Verschwendung. Deshalb müssen die Teilnehmer des Energiegipfels heute Abend ideologiefrei über Energiepolitik sprechen. Immerhin: In den letzten 30 Jahren hat es keinen besseren Zeitpunkt für einen Energiegipfel gegeben.

Michael Bauchmüller

Wenn sich die Kanzlerin am heutigen Montag mit Ministern, Managern und Wissenschaftlern trifft, könnte sie so viele heiße Energie-Themen besprechen: Die Spritpreise stabilisieren sich bei weit über einem Euro und machen Mobilität zum Luxusgut. Die Kosten für Strom, Heizöl und Erdgas liegen hoch wie nie - und die Verbraucher rebellieren.

Die wichtigsten Lieferländer für die begehrten Rohstoffe aber sind im Innern Krisenregionen oder sie wollen nicht länger nur nach Europa liefern: Russland plant Pipelines nach China, Norwegen verschifft Gas in die USA. Die wenigen Gas- und Ölvorkommen Europas dagegen versiegen. Sichere, für alle bezahlbare Energie wird zur Schicksalsfrage für wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg.

Steigende Energiepreise wirken auf Verbraucher wie eine Mehrwertsteuererhöhung - Energiepreise sind für alle Bürger gleich, ganz unabhängig von ihrem Einkommen. In den nächsten Wochen werden Millionen Mieter ihre Heizkostenabrechnung für das vergangene Jahr erhalten - für die meisten wird es eine schlechte Nachricht sein.

Seit 2000 sind die Heizkosten um 45 Prozent gestiegen. In diesem Jahr steigen sie weiter. Es wird Leute geben, die angesichts ihrer Nebenkosten im nächsten Winter zu Pulswärmern und warmen Socken greifen werden, ehe sie die Heizung anwerfen. Wärme ist nicht länger eine Selbstverständlichkeit - sondern etwas, das man sich leisten können muss.

Verschont bleibt weder reich noch arm

Energie ist zu einem Gut geworden, das allein globalen Marktgesetzen folgt. Zwar muss kein Europäer fürchten, dass Russland plötzlich den Gashahn schließt oder Öltanker nach China abdrehen. Aber Energie wandert zunehmend dahin, wo die höchsten Preise gezahlt werden. Verschont bleibt weder reich noch arm.

Die alten Industrieländer müssen zusehen, wie aufstrebende Volkswirtschaften wie China und Indien die Preise treiben: In Europa bedroht die globale Jagd auf Brennstoffe den Aufschwung.

Entwicklungsländer, sofern sie nicht zufällig im Besitz knapper Rohstoffe sind, trifft es noch härter: Der Preisanstieg bedroht jede wirtschaftliche Entwicklung. Der preiswerte Zugang zu Energie wird zur Entscheidung über die Verteilung von Wohlstand - national, aber auch international.

Wie ein Junkie an der Nadel hängt Deutschland an seinen Energie-Importen. Sucht ist das Gegenteil von Freiheit: Auch der Junkie sollte sich, will er weiter versorgt werden, besser nicht mit seinem Dealer anlegen -folgerichtig wird die Sicherheit der Energieversorgung immer stärker die Außenpolitik und die Sozialpolitik bestimmen.

Verzweifelt züchten Industrieländer derweil Großkonzerne heran, die gegenüber einer handvoll Rohstoff-Ländern Gewicht aufbauen können - und merken nicht, dass sie den Verteilungskampf damit nur verlagern: Denn der Preis für die globale Stärke der Unternehmen ist oft die Schwäche der Verbraucher daheim.

Energieunternehmen sind keine Wohlfahrtsunternehmen

Auch in Deutschland wird Energiepolitik maßgeblich von wenigen Unternehmen beeinflusst. Sie sichern die Versorgung, sie werden stark und stärker. Aber sie sind keine Wohlfahrtsunternehmen, wie viele Verbraucher leidvoll erfahren müssen.

Sie achten auf das Unternehmensergebnis, und das ist nicht verwerflich. Nur darf niemand erwarten, dass Großkonzerne die Energiepreis-Probleme des Landes lösen.

Nein, dem Junkie hilft nur eins: eine stramme Entziehungskur, eine Abkehr von knappen Rohstoffen und von deren Verschwendung. Das setzt voraus, dass die Teilnehmer des Energiegipfels ideologiefrei über Energiepolitik sprechen - und nicht immer nur dann, wenn es um die Wiederbelebung der Kernkraft geht.

Ganz ohne Ideologie läge die Erkenntnis nahe, dass Energie, die uns die Natur schenkt, mehr Zukunft hat als solche, die uns Araber, Russen oder Norweger verkaufen. Diese Einsicht ist in den vergangenen Monaten erstaunlich weit gereift. Beide Volksparteien und selbst die FDP setzen mittlerweile auf erneuerbare Energien, wollen "weg vom Öl" und von der haarsträubenden Wärmeverschwendung deutscher Häuser.

Der Energiegipfel könnte den Weg dahin weisen. Dazu allerdings müsste die Runde die Strom- und Wärmeversorgung überdenken, zumal die Interessen von Verbrauchern und Versorgern alles andere als deckungsgleich sind.

Die Unternehmen halten an einem Uraltsystem fest, in dem Energie so zentral produziert wird wie Politik in Frankreich - überwiegend in großen Kohle- und Atomkraftwerken.

Dabei könnte ein Netz weniger großer und vieler kleiner Kraftwerke Haushalte nicht nur mit Strom, sondern auch mit Wärme versorgen. Das wäre nicht nur effizienter, es brächte auch den Wettbewerb voran. Und statt Kohle oder Erdgas könnten die Anlagen eines Tages Biomasse oder Biogas verbrennen.

Visionen? Warum nicht. Warum nicht auch auf einem Energiegipfel der Physikerin Merkel? Die Kanzlerin muss Mut zeigen. Gut möglich, dass der Weg Schmerzen bereitet: Entziehungskuren tun immer weh. Aber am Ende kann es dem Patienten nur besser gehen - in diesem Fall dem ganzen Land.

© SZ vom 3.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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