Kommentar:Eine ganz bittere Lektion

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Der abgebrochene Metaller-Streik muss zum Umdenken bei den Gewerkschaften führen.

Joachim Käppner

(SZ vom 30.06.2003) - Karl Marx und Friedrich Engels schrieben über jene Gewerkschafter, die den beiden Theoretikern der Revolution zu anpasserisch waren: "Sie halten die alten Anschauungen der Meister fest gegenüber der geschichtlichen Fortentwicklung des Proletariats."

Auf paradoxe Weise lassen sich diese Worte aus dem "Kommunistischen Manifest" auf die IG Metall von heute übertragen. Marx und Engels hatten gemeint: Mögen die Gewerkschaften sich anpassen, die Arbeiterschaft wird den Kampf fortsetzen. Die IG Metall wiederum wollte jetzt den ganz großen Kampf, die Arbeiter aber hatten sich dazu bereits viel zu sehr mit den Verhältnissen arrangiert. Im Kampf um die 35-Stunden-Woche erlitten die Metaller daher eine Niederlage von historischen Dimensionen.

Grundlegende Fehleinschätzung

Dass sie prahlend ins Gefecht gezogen waren und dann so überaus kläglich die Fahnen strichen, ist nur die eine Seite der Niederlage. Deren Eingeständnis durch IG-Metall-Chef Klaus Zwickel zwang immerhin jenen Geist zurück in die Flasche, den sein designierter Nachfolger Jürgen Peters herausgelassen hatte.

Die andere Seite der Niederlage wird die Gewerkschaften insgesamt aber noch härter treffen als die Schmach des abgebrochenen Gefechts. Das ist - mit allen Folgen - die Erkenntnis, dass die Hardliner um Peters die Stimmung im Lande und selbst im eigenen Lager völlig falsch eingeschätzt und die Gewerkschaften damit isoliert haben.

Niederlage mit langfristigen Folgen

Sie gebärdeten sich beim Streik, als schlage hier die Arbeiterbewegung einen ihrer erbitterten Existenzkämpfe des 19. Jahrhunderts; sie sangen ein altes Lied: "Wenn unser starker Arm es will, stehen alle Räder still."

Bei BMW standen die Räder tatsächlich still, aber die Konfrontation untermalte nur mit grellen Farben, dass hier ein unzeitgemäßer Konflikt geschürt wurde. Mitten in der Krise für die 35-Stunden-Woche im Osten zu streiken - was selbst dort nur eine Minderheit wollte -, und dabei Zehntausende von Arbeitnehmern im Westen quasi als Geiseln zu nehmen, war der sichere Weg ins Desaster. Schon beim Widerstand gegen die Agenda 2010 hatten die Gewerkschaften keine glückliche Rolle gespielt und letztlich klein beigeben müssen.

Die langfristigen Folgen dieser neuen, noch schlimmeren Niederlage werden bitter sein für die Arbeitnehmervertretungen; ihr Verlust an Mitgliedern und Bedeutung dürfte sich verschärfen, von der Demontage des ostdeutschen Flächentarifvertrages ganz abgesehen.

Die bittere Lektion kann aber auch ihr Gutes für die Gewerkschaften haben, deren Rolle doch gerade im Zeitalter des globalen Kapitalismus so wichtig ist. Darin werden Korrektive gebraucht, nicht Ideologen, die mit den Parolen von gestern den Wandel zur Arbeitswelt von morgen blockieren. Vielleicht überdenkt die IG Metall die Personalie Peters in diesem Sinne noch einmal. Das wäre immerhin ein Anfang, damit die Gewerkschaften nicht bald mit Bertolt Brecht fragen müssen, dessen Worte besser zu ihrer Lage passen als Marx und Engels: "Werden wir zurückbleiben? Keinen mehr verstehend und von keinem verstanden?"

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