Kommentar:Doch lieber reden mit Hamas

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Der Entzug jeder Finanzhilfe könnte die Palästinenser ins Chaos stürzen und neue Gewalt auslösen.

Tomas Avenarius

Jose Vicente Rangel macht es sich leicht: Auf die Frage, ob sein Land Vertreter der palästinensischen Islamistenpartei Hamas empfangen würde, antwortete Venezuelas Vizepräsident: "Klar. Sie haben ja die Wahl gewonnen." Aber Südamerika ist weit entfernt von den Problemen des Nahen Ostens. Der Umgang mit Hamas, die von der EU, den USA und Israel als Terrorgruppe eingestuft wird, ist aus der Nähe betrachtet so einfach nicht.

Nur: Gebetsmühlenhaft zu sagen, mit "Terroristen" werde man nicht verhandeln, führt auch nicht weiter. Hamas hat die Parlamentswahl nicht deshalb gewonnen, weil sie für Selbstmordattentate verantwortlich ist. Hamas hat gewonnen, weil die Regierungspartei Fatah versagt hat - unter den Augen der zahlenden Europäer und Amerikaner und befördert zum Teil durch das Zutun Israels.

Angebot an Hamas nötig

Natürlich muss Hamas der Gewalt abschwören und Israel anerkennen. Aber man muss ihr im Gegenzug auch etwas anbieten: zum Beispiel ein Israel in den Grenzen von 1967. Stattdessen entwerfen die Regierungen in Jerusalem und Washington nun offensichtlich Pläne, wie sie Hamas auf kaltem Wege aus der palästinensischen Regierung drängen können, indem sie die Partei am ausgestreckten Arm verhungern lassen.

Die palästinensische Autonomiebehörde lebt von ausländischer Hilfe, und diese könnte den Plänen zufolge eingefroren werden. Zudem überweist Israel Steuern und Zölle, die auf jene Waren erhoben werden, die per Transit in die Palästinensergebiete geliefert werden. Dieses Geld - das den Palästinensern gehört - möchte Jerusalem auch zurückhalten. Israel könne darüber hinaus jeden Verkehr zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland ohne weiteres stoppen.

Das Szenario lautet: Wenn die Hamas-Regierung ihre Polizisten, Lehrer und Ärzte nicht mehr bezahlen kann und keine Waren mehr ins Land kommen, werden die Menschen meutern. Dann könnte Palästinenserpräsident Machmud Abbas Neuwahlen ausschreiben. Wenn die Palästinenser einsähen, dass Hamas regierungsunfähig ist, würden sie die abgewählte Fatah-Partei wieder ins Amt bringen.

Schrecklich schlicht

All das klingt schrecklich schlicht - und nach einem ferngesteuerten Staatsstreich. Vor allem wird es nicht funktionieren. Hamas würde radikaler und erneut auf Terror setzen. Die Palästinenser würden gespalten, Chaos und Gewalt wären die Folge. Und die arabische Welt verlöre den Glauben an die vom Westen gepriesene Demokratie. Denn erst gewinnt eine Partei die Mehrheit, und dann betrügen diejenigen, die Wahlen gefordert hatten, den Sieger um den Sieg.

Am Ende wird auch Israel mit Hamas reden. Denn wer sich erinnert, kann das Wort Hamas durch PLO ersetzen: Der Streit wurde nämlich schon einmal geführt, und an seinem Ende saßen Israelis und Palästinenser an einem Tisch. Es dürfen also weder Zeit verschwendet noch Menschenleben riskiert werden. Die Lage im Nahen Osten ist zu kompliziert, um eine Eskalation in Kauf zu nehmen.

© SZ vom 15.Februar 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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