Kommentar:Die Saat al-Qaidas

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Fünf Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ist das nun vereitelte Attentat nur ein neuer Schrecken unter vielen anderen. Denn Islamisten bestimmen die weltpolitische Agenda, allerorten treiben sie die westliche Welt vor sich her.

Nicolas Richter

Wenn Terroristen die amerikanisch-britische Kriegerkoalition treffen wollten, könnten sie sich kein besseres Symbol aussuchen als einen vollbesetzten Jumbo zwischen London und New York. Die britische Polizei will jetzt sogar eine ganze Anschlagsserie dieser Art vereitelt haben.

Erste Konsequenz aus den Ermittlungen: Jegliches Handgepäck wurde aus den Kabinen verbannt.

Bei allem vollmundigen Gerede über Terrorabwehr scheint den Experten sehr lange die Möglichkeit entgangen zu sein, dass Flüssigsprengstoff in der harmlosen Getränkedose als Tatwaffe für Massenmorde taugt.

Die Verdächtigen - mutmaßlich islamistische Terroristen - haben ihre Feinde wieder einmal überrascht.

Fünf Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ist dies allerdings nur ein neuer Schrecken unter vielen anderen. Denn allem Anschein nach bestimmen Islamisten die weltpolitische Agenda, allerorten treiben sie die westliche Welt vor sich her.

Im Libanon hat die Hisbollah-Miliz das israelische Militär in einen aussichtslosen Krieg verwickelt, in Iran trotzt ein religiös eifernder Präsident mit Atomplänen und finsteren Drohungen den Vereinten Nationen, und die Liste islamistischer Anschläge im Nahen Osten, in Europa und sonstwo wird immer länger.

Der Kampf zwischen militanten Islamisten aller Art und dem Westen hat sich in fünf Jahren zur beherrschenden globalen Auseinandersetzung ausgewachsen.

Am betrüblichsten ist, dass westliche Nationen wie die USA und Großbritannien diese Eskalation befeuert haben, wo sie nur konnten.

Die folgenschwerste Fehlentscheidung von Bush und Blair war es, Krieg im Irak zu führen. Amerika mutierte damit vom Opfer des 11. September zum kalten Aggressor.

Der mit dreisten Lügen begründete Feldzug, der Folterskandal in Abu-Ghraib und die dauernde Verachtung der Menschenwürde im US-Gefangenenlager in Guantanamo haben die USA diskreditiert und ihnen im Nahen Osten sowie weit darüber hinaus jede moralische und politische Glaubwürdigkeit genommen.

Diese Schwäche hat Iran ermutigt, den Westen im Atomkonflikt herauszufordern. Der heraufziehende Bürgerkrieg im Irak droht derweil die gesamte Region zu destabilisieren.

Gleichzeitig ist dort eine neue Basis für islamistische Terroristen entstanden, kaum dass deren Zusammenrottung in Afghanistan zerschlagen worden war.

Noch nie so gedemütigt

Al-Qaida ist als hierarchische Organisation zwar verschwunden, doch sie lebt als loses Zellengeflecht, mit Sicherheit aber als sinnstiftende Idee fort. Dies wäre freilich auch der Fall, wenn die Amerikaner anders reagiert hätten.

Al-Qaida hat immer einen Vorwand für ihre apokalyptische Ideologie gefunden, und ihr Traum vom Kalifat im Nahen Osten wird Nachwuchsextremisten noch lange blenden.

Seit dem 11. September aber ist die Radikalisierung junger Muslime in islamischen Ländern und europäischen Ghettos nochmal stark gewachsen, weil sie sich noch nie so gedemütigt fühlten.

In Großbritannien entstand ein besonders gefährliches Milieu.

Bis 2001 hatte die Regierung selbst übelste Hassprediger gewähren lassen. Solange sie nur Kämpfer für den Tschetschenien-Krieg rekrutierten, galt Dschihad als Privatsache.

Nach den Anschlägen in den USA schlug die Nachlässigkeit in Aktionismus um. Mehrere neue Anti-Terror-Gesetze waren verfassungswidrig, vor allem jedoch sorgte Blair mit seiner Beteiligung am Krieg im Irak für ein endgültiges Ende des Stillhalteabkommens zwischen Extremisten und Staat.

Vermeintlich harmlos

Die Anschläge in London am 7. Juli 2005 waren fast zwangsläufig, es überraschend nur, dass die Täter integrierte britische Staatsbürger waren. Der Schlachtruf der Dschihadisten erreicht inzwischen sogar die vermeintlich Harmlosen.

Auch im Nahen Osten hat sich binnen fünf Jahren nichts gebessert. Im palästinensisch-israelischen Konflikt fehlt der US-Regierung Mut und Autorität für erfolgreiche Vermittlung.

Und falls die beliebte These vom Tod des politischen Islam jemals gestimmt haben sollte, so ist sie heute jedenfalls widerlegt.

Wenn die autoritären Regime der Region Wahlen zuließen, würden fast überall Islamisten an die Macht kommen. Eine behutsame Öffnung der Autokratien, die auch moderate Parteien hervorbringen könnte, ist unterblieben.

Während das US-Modell der erzwungenen Demokratie im Irak gescheitert ist, hat der Westen wenig versucht, um im Nahen Osten langsame Reformprozesse zu unterstützen.

Die von den USA gebilligte, überzogene militärische Reaktion Israels auf Angriffe der palästinensischen Hamas oder der libanesischen Hisbollah haben Islamisten in der gesamten Region noch weiter gestärkt. Die schwache libanesische Demokratie könnte unter der Last des Krieges sogar zerbersten, die Folge wäre ein zweiter kaputter Staat neben dem Irak.

Die Antwort des US-Präsidenten auf den 11. September hieß "Krieg gegen den Terror". Nur in Afghanistan war dies gerechtfertigt, im Irak war es eine Lüge.

Allgemein aber ist dieser Slogan eine Prophezeiung, die sich selbst erfüllt: Je länger Staaten versuchen, Terroristen mit kriegerischen Mitteln zu besiegen, desto mehr radikale Islamisten werden sie hervorbringen.

Nach fünf Jahren jedenfalls ist die Saat al-Qaidas voll aufgegangen.

© SZ vom 11.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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