Kommentar:Die Frustrierten

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Wahlkampf, verkehrt herum: Die einen, die Regierungsparteien, haben eigentlich keine Chance, diese Wahl zu gewinnen, werben aber um die Stimmen, als seien sie die künftigen Sieger.

Joachim Käppner

Der Kanzler eilt bestens aufgelegt durchs Land, obwohl es sich doch eher um seine Abschiedstournee handelt.

Die anderen, CDU und CSU, hatten die besten Chancen, werben für ihre Sache aber so unbeholfen, als hätten sie sich schon verloren gegeben. Damit steigt die Gefahr, den Sieg zu verspielen. Die Brutto-Netto-Pannen der Kandidatin mögen eine Lappalie sein.

Schwerer wiegt der Lapsus des brandenburgischen CDU-Innenministers Jörg Schönbohm, der den gewaltsamen Tod von neun Babys mit einer spezifisch ostdeutschen Verwahrlosung des Gemüts in Verbindung brachte. Das traf seine Partei an ihrer schwächsten Stelle, dem deutschen Osten.

Der Missklang schwang noch nach, da langte Edmund Stoiber hin. Natürlich hat er nicht all das gemeint, was ihm die hocherfreute SPD jetzt unterstellt. Aber ihre Wirkung auf die Ostwähler werden seine bramarbasierenden Auftritte nicht verfehlen.

Wenn die Ossis nur halb so gut wären wie wir in Bayern, ginge es ihnen auch besser: So hat es Stoiber nicht gesagt. Aber so wird er in den neuen Ländern verstanden, wenn er über intelligente und nicht so intelligente Bevölkerungsteile räsoniert und "den Frustrierten" des Ostens nicht erlauben will, über Deutschlands Zukunft zu entscheiden.

Schon einmal, 2002, ging eine bereits gewonnen geglaubte Wahl am Ende doch noch verloren. Der Kandidat war Edmund Stoiber, und es waren - neben der für ihren hysterischen Spaßwahlkampf gnadenlos bestraften FDP - die Ostdeutschen, deren Stimmen ihn die Kanzlerschaft kosteten.

In der Psychologie kennt man das Phänomen, dass jahrelang unterdrückte Kränkungserlebnisse plötzlich wieder aufbrechen, leider meist zur falschen Zeit und am falschen Ort. Hier, bei seiner Niederlage in den neuen Ländern, liegt die Wurzel für Stoibers seltsames Gebaren in diesem Wahlkampf; für sein Zaudern, ob und wenn ja, in welcher Rolle er einem Kabinett Merkel angehören möchte; für seine kühnen Zielvorgaben bis zu 45 Prozent, die wiederum die Kandidatin in zusätzliche Verlegenheit bringen.

Hinter dem Wettern über die Frustrierten steckt der Zorn des Frustrierten, der glaubt, und vielleicht sogar zu Recht, er könne es besser, wenn man ihn nur ließe; und der sehen muss, wie viel leichter dieser Wahlkampf, unbelastet von Flutwellen und Irak-Krieg, sein könnte als der seine damals, 2002.

Seine Ossi-Schelte freilich wird die Union teuer zu stehen kommen. Denn in den neuen Ländern sieht es nicht gut aus für die CDU. Wer gegen Hartz IV, für viele Ostdeutsche die Chiffre allen Übels, protestieren will, wird die nun als Linkspartei verkleidete PDS wählen und nicht die Union, von der weitere Zumutungen zu erwarten sind.

Im Westen hatte die CDU, als die Unzufriedenheit über Rot-Grün am größten war, selbst sozialdemokratische Hochburgen wie Hamburg und Nordrhein-Westfalen fast mühelos erobert. Im Osten aber gibt es seit Jahren nur einen Wahlsieger, und das ist der Protest.

Addiert man die Nichtwähler mit jenen, die zuletzt für die PDS oder gar die Rechtsradikalen stimmten, ergibt sich eine stattliche Mehrheit gegenüber den herkömmlichen Parteien. All dies wird gespeist vom Verdruss, von Voreingenommenheit, eben von Frustration.

Das aber erzeugt, umgekehrt, Verdruss im Westen. Er ist zu spüren, wenn Bürgermeister heruntergekommener Ruhrstädte bitter darauf hinweisen, dass ihnen niemand per Aufbau West beisteht; wenn der frühere Bundeswehrgeneral Schönbohm die Mentalität seiner Landeskinder geißelt; wenn Stoiber in Bayern mit Attacken auf die da drüben Punkte machen will.

Das alles verrät viel darüber, dass zwar Deutschland vereint ist, die Deutschen aber längst nicht geeint genug sind. Das Trennende verblasst, doch es tut dies langsamer, als es sich viele Menschen eingestehen wollen.

Westdeutsche Bevormundung

Vielerorts mag der Osten vom Westen kaum mehr zu unterscheiden sein: in der Boomregion um Dresden, in den High-Tech-Standorten, in den wiedererstandenen Innenstädten. Dennoch fühlen sich viele Ostdeutsche bevormundet und den Pressionen westlicher Denk- und Produktionsweisen ausgesetzt; und im Westen greift Unmut um sich über die vermeintliche Undankbarkeit jener, für die man doch so viele Opfer auf sich genommen habe.

Es sind Konflikte, die selten eingestanden werden. Selbst simple Fakten wie jene, dass die rechtsradikale Jugendszene in den neuen Ländern verwurzelter ist als in den alten, rufen ritualisierte Proteste hervor.

Wer aber so selbstgefällig daherredet wie der CSU-Chef, wird bei den Ostdeutschen nur zweierlei erreichen: Diejenigen, die schon immer gewusst haben wollen, wie arrogant der Westen ist, sehen sich selbstmitleidig bestätigt in ihrer Opferrolle. Und jene, die Stoiber wohl wirklich gar nicht meinte, fühlen sich dennoch gemeint.

Das Ergebnis könnte eine Ironie der Geschichte sein. Wenn die Protestwähler im Osten wirklich ein schwarz-gelbes Bündnis verhindern würden, wäre das genau jener Sieg der Frustrierten, den Stoiber fürchtet - und den er selbst herbeigeredet hätte.

© SZ vom 12.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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