Kommentar:Die Befreiung vom Opfermythos

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Eine Auslieferung von General Mladic an Den Haag könnte Serbien die Tür in die Zukunft öffnen.

Peter Münch

Die Mühlen der Haager Gerichtsbarkeit mögen langsam mahlen, doch es könnte sich wieder erweisen, dass sie zäh und stetig arbeiten.

Fast 13 Jahre nach der Einrichtung des UN-Kriegsverbrechertribunals, mehr als zehn Jahre nach dem Ende des Bosnien-Krieges, fünfeinhalb Jahre nach der serbischen Wende meldet die serbische Regierung nun, sie würde mit einem der Hauptverantwortlichen für den Völkermord auf dem Balkan über eine Auslieferung verhandeln.

Ratko Mladic, der furchtbare General, soll sich doch noch einem Prozess stellen müssen. Das wäre ein Triumph für die Ermittler, die auch in ausweglos erscheinender Lage niemals aufgegeben haben.

Es wäre eine Genugtuung für die Opfer. Und nicht zuletzt wäre es ein Reifezeugnis für die serbische Regierung.

So wie die Freiheit Mladics und seines Kompagnons Radovan Karadzic wie ein dunkler Schatten aus der Vergangenheit über dem balkanischen Aufbruch lag, so könnte eine Auslieferung Mladics den Weg Serbiens in eine bessere Zukunft befördern.

Hoher Preis für Starrköpfigkeit

Diesen Weg scheint Belgrad zwar nur unter dem Druck einschlagen zu wollen, dass die Verhandlungen mit der EU über ein Assoziierungsabkommen Ende Februar anderenfalls gefährdet sind.

Aber die Einsicht, dass der Preis für weitere Starrköpfigkeit zu hoch wäre, ist ein großer Schritt für einen Regierungschef vom Schlage Vojislav Kostunicas. Der hatte schließlich bei der Auslieferung Slobodan Milosevics nach Den Haag noch heftig "Verrat" gebrüllt.

Kostunica hatte lange die nationalistische Karte gespielt. Das hat ihm Sympathien im Volk eingebracht - doch um den Preis, dass Serbien abgehängt wurde von der Entwicklung der früheren jugoslawischen Brüder in Slowenien und Kroatien.

Nun aber scheint er den falschen Nationalismus zurückgestellt zu haben, und damit würde er seinem Land tatsächlich einen großen Dienst erweisen. Er würde die Tür für einen späteren Beitritt zur EU öffnen, auch für Investitionen und den dringend erforderlichen wirtschaftlichen Aufschwung.

Nicht jeder in Serbien wird Kostunica auf diesem Weg folgen wollen. Zum Nationalstolz gehört der Verdrängungsmechanismus ebenso wie der Opfermythos.

Einer wie Mladic gilt vielen noch als Held, vom Srebrenica-Massaker und der Belagerung Sarajewos wollen die Ewiggestrigen nichts wissen. Doch die Einsichtigen haben im Laufe der Zeit erkennen müssen, dass die Serben am Ende als Verlierer der Balkan-Kriege da standen. In dieser Lage hilft nichts anderes als ein Befreiungsschlag, eine Befreiung vom Schatten der Vergangenheit.

Dies ist mit einer Verhaftung Mladics allein noch nicht geglückt, aber es wäre ein Beginn. Die Auseinandersetzungen, die dabei innerhalb Serbiens drohen, könnten hart und schmerzhaft werden. Doch sie sind notwenig und ohne Alternative. Die Regierung in Belgrad muss dies nun durchfechten, und die Regierungen der Europäischen Union haben die Pflicht, ihr dabei zur Seite zu stehen.

© SZ vom 22.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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