Kommentar:Der Zug der Seuchenvögel

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Das Vogelgrippe-Virus hat Deutschland erreicht - und die Politik reagiert unbeholfen

Patrick Illinger

Ausgerechnet Rügen. Und ausgerechnet Schwäne. Dass die seit Monaten weltweit immer wieder aufflammende Vogelpandemie auf diese Weise nach Deutschland finden würde, war schlicht unvorhersehbar.

Gemessen an dem Weg, den der H5N1-Erreger in den vergangenen Monaten um den halben Erdball nahm - über China, Russland, die Türkei bis Slowenien und Österreich -, hätte kein noch so erfahrener Experte auf die Ostseeinsel getippt. Und als Transportmittel des Virus hatte man eher Wildvögel im Verdacht als Schwäne. Genau das macht das Virus so gefährlich: das Unvorhersehbare.

Seehofer wirkt bedenklich unbeholfen

Die Vogelgrippe ist eben keine Krankheit wie Pest oder Cholera, die man mit Hygiene und Medikamenten in Schach halten kann. Es ist auch kein exotisches Virus wie Ebola, das sich regional eingrenzen lässt, indem man die Erkrankten isoliert.

Der Influenza-Erreger, Subtyp H5N1, hat im Prinzip alle Eigenschaften, die man für eine weltweite Pandemie braucht: Er ist hochgradig ansteckend, tötet aber nur einen Teil seiner Überträger, wodurch er seine eigene Ausrottung verhindert. Und er befällt Vögel, die neben Fischen und Menschen mobilsten Lebewesen.

Sicher, noch ist nur das Federvieh ernsthaft in Gefahr, und Angst etwa vor Hühnerfleisch auf dem Esstisch ist völlig unangebracht. Menschen attackiert der Erreger bislang nur, wenn sie mit Vögeln eng zusammenleben, wie es in Mitteleuropa praktisch nirgends mehr der Fall ist.

Beim Kampf gegen H5N1 müssen Grenzen fallen

Doch wer sich mit dem molekularen Aufbau des Influenza-Virus befasst, lernt staunend, wie wandelbar dessen Erbgut und Hülle sind. Um zu einem echten Menschenvirus zu werden, braucht es - biochemisch gesehen - nicht viel. Nun mag es durchaus sein, dass es einen Grund gibt, warum H5N1 für eine Pandemie unter Menschen langfristig ungeeignet ist. Nur: Bekannt ist ein solcher nicht.

Im Angesicht der wabernden Bedrohung wirkt Gesundheitsminister Horst Seehofer bedenklich unbeholfen. Eine Zehn-Kilometer-Sperrzone rund um den Fundort auf Rügen und eine um drei Tage vorgezogene Stallpflicht für Geflügel (mit dem freundlichen Appell, das Geflügel doch trotzdem schon jetzt in den Stall zu sperren) sind nur Ansätze all der Schutzmaßnahmen, die jetzt vonnöten wären.

Vor allem müssen in dieser Sache nun endlich die politischen Grenzen fallen, um die sich das Virus auch nicht schert. Weit über Europa hinaus muss jetzt das Geflügel eingesperrt, intensiv beobachtet und bereits im Verdachtsfall getötet werden. Dass das Virus nun einen so überraschenden Weg nach Deutschland genommen hat, zeigt, dass es ein Fehler war, die Stallpflicht erst im März beginnen zu lassen.

Unsicher war immer nur, wie das Virus nach Deutschland gelangen, aber nicht, dass es kommen würde. Die Behörden müssen jetzt alles Erdenkliche tun - damit wir nicht eines Tages im Zorn zurückblicken auf den Moment, als es zu spät war.

© SZ vom 16.02.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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