Kommentar:Billige Ausflucht Mehrwertsteuer

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Eine Mehrwertsteuererhöhung ohne umfassendes Spar- und Reformpaket ist ein wahnwitziger Plan. Sie ließe die ohnehin schwache Inlandsnachfrage in sich zusammenbrechen und würde den Staat endgültig als nimmersattes Monster entlarven.

Marc Beise

Vieles ist ungewiss in diesen Tagen in der Bundeshauptstadt Berlin, aber eines ist sicher: Die Tage des Mehrwertsteuersatzes in Höhe von 16 Prozent sind gezählt.

Seit dem 1. April 1998 hat diese Marke gehalten, die ganze Regierungszeit Schröder hindurch; der ermäßigte Satz von sieben Prozent gilt sogar schon seit 1983. Nun wird eine Erhöhung dieser wichtigsten indirekten Steuer unweigerlich kommen - fragt sich nur, wann und um wie viele Punkte.

Steuersystematisch zwar ist dieser Schritt richtig - wenn im Gegenzug Körperschaft- und Einkommensteuer sinken. Auch ein Zusammenstreichen der Liste der Produkte, für die der ermäßigte Steuersatz gilt, wäre sinnvoll: Es handelt sich dabei um ein Sammelsurium von häufig schwer zu rechtfertigenden Sondertatbeständen.

Was theoretisch richtig ist, muss aber dennoch sinnvoll umgesetzt werden. Die bisherigen Gespräche zur geplanten großen Koalition und umlaufende Spekulationen lassen das nicht vermuten.

Verheerende Schäden

Verdächtig früh wird die Mehrwertsteuer zu einem beherrschenden Thema. Wer so beginnt, wird beim Sparen nicht weit kommen. Gewiss, die Geldnot des Bundes ist groß. Mit Blick auf das strukturelle Defizit im Bundeshaushalt von bis zu 60 Milliarden Euro pro Jahr haben sich SPD und Union darauf geeinigt, 2006 immerhin 35 Milliarden Euro sparen zu wollen.

Bedenkt man ferner, dass die neue Koalition einige Milliarden Euro für Zukunftsinvestitionen in die Wirtschaft pumpen will, ergibt sich sogar ein Finanzbedarf von 40 Milliarden Euro.

Angesichts der drückenden Schuldenlast des Staates von bald 1,5 Billionen Euro (Bund, Länder und Gemeinden) müssten diese 40 Milliarden Euro weitgehend auf der Ausgabenseite erarbeitet werden. Schon aber konzentrieren sich die Koalitionäre auf die Einnahmenseite.

Psychologische Katastrophe

So ist ja schon das Streichen von Steuervergünstigungen kein wirkliches Sparen, sondern eine versteckte Steuererhöhung. Erst recht gilt das für die Mehrwertsteuer, deren Anhebung um bis zu vier Punkte im Gespräch ist - ein wahnwitziger Plan, dessen Schäden verheerend wären.

Eine solche Verteuerung des Konsums ließe die ohnehin schwache Inlandsnachfrage in sich zusammenbrechen - mit allen Konsequenzen für Produktion und Arbeitsplätze.

Nicht weniger schlimm wäre die psychologische Wirkung. Eine Mehrwertsteuererhöhung ohne umfassendes Spar- und Reformpaket würde den Staat endgültig als nimmersattes Monster entlarven. Dieses Bild hätte alle möglichen Konsequenzen. Nur eine nicht: Aufbruchstimmung.

© SZ vom 27.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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