Kommentar:Bedingt regierungsbereit

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Sie wähnten sich unverwundbar und konnten sich darin im kurzen Sommerwahlkampf fast bis zum Schluss bestätigt fühlen. Was immer CDU und CSU anstellten, es schien nicht zu schaden. Sie nominierten eine mäßig beliebte Kanzlerkandidatin - die Umfragewerte gingen in die Höhe.

Jens Schneider

Die Parteispitze setzte ohne Kontroversen ein politisch eindimensionales Wahlprogramm durch. Der Osten wurde vernachlässigt, der Sozialbereich, die Umweltpolitik - die Wechselstimmung blieb. Es folgte ein oft seelenloser Wahlkampf, und doch schien alles gut zu werden für die Union.

War es aber nicht. Der Quittung erster Teil war das erbärmliche Wahlergebnis. Teil zwei ist der holprige Start von Angela Merkel auf dem Weg ins Kanzleramt. Die Union präsentiert sich als bedingt regierungsbereit: in Personalfragen nicht abgestimmt, in den Inhalten diffus. Das erinnert ein wenig an den doppelten Fehlstart von Rot-Grün, der in der CDU mit dem Satz kommentiert wurde: Die können es nicht.

Chaotisch gezimmerte Kabinettsliste

Als erste Hypothek erweist sich das vage Personaltableau Merkels. Sie akzeptierte die Sonder-Rolle Edmund Stoibers, der sich nicht festlegen wollte. Nun muss die Union für seine Ambitionen nicht nur an die SPD einen hohen Preis zahlen, sondern auch intern.

Merkels gescheiterter Abwehrkampf gegen Horst Seehofer offenbarte zudem, wie chaotisch sie ihre Kabinettsliste gezimmert hatte. Parteifreunde vor allem aus unterrepräsentierten Landesverbänden empfinden dies als stümperhaft.

Als zweite Last zeigt sich der Mangel bei den Inhalten. Nicht nur beschränkte sich das Wahlprogramm auf wenige Felder. Widersprüche wurden weggeschwiegen und kommen jetzt umso heftiger zum Vorschein, sei es bei der Arbeitsmarkt-, der Sozial- oder der Gesundheitspolitik. Unter Schmerzen einigte sich die Union auf die Gesundheitsprämie,

Stoiber räumte sie an einem Tag weg. Bei der Wahl büßten die C-Parteien für ihr Bekenntnis zur Mehrwertsteuer-Erhöhung, jetzt rücken erste Spitzenleute von ihr ab.

Beiboote treiben ab

Merkels Fehler ist dabei nicht, dass sie die Partei zu Reformen antrieb. Sie erlebt vielmehr die Folgen ihrer zu geringen Fähigkeit, konträre Standpunkte und deren Exponenten zusammenzuführen. Dass sie Talente wie Friedrich Merz nicht einbinden kann, einen wie Seehofer brachial zu verhindern sucht, zeugt nicht von Führungsstärke.

Von Helmut Kohl hat sie sich ein schönes Bild über die Balance einer Volkspartei eingeprägt. Er verglich diese mit einem indonesischen Hausboot, zu dem viele kleine Boote gehören. Die Stabilität komme nie allein vom Hauptboot, immer auch von den kleinen Booten. Schwierig werde es, wenn Spitzenpolitiker nicht auf dem Hauptboot fahren. Genau das hat Merkel nicht verhindern können und zugleich wichtige Beiboote gefährlich weit abtreiben lassen. Nun schwankt ihr Hauptboot, ungelenk gesteuert, im wilden Wasser.

(SZ vom 25.10.2005)

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